Neue Entwicklungen im Fremden- und Asylrecht

14. Juli 2010

Im Jahr 2009 wandten sich rund 15.000 Menschen, die sich von einer Behörde schlecht behandelt fühlten oder fürchteten, nicht zu ihrem Recht zu kommen, an die Volksanwaltschaft. Darunter fallen auch Anliegen aus dem Bereich des Fremden- und Asylrechts, wobei die Zahlen der letzten Jahre einen kontinuierlichen Anstieg an Beschwerdefällen belegen (2007: 192 Fälle, 2008: 228, 2009: 248). Grund dafür sind unter anderem die Auswirkungen von legislativen Verschärfungen für die Betroffenen in diesen Bereichen. Dies betrifft zum Beispiel Visaverfahren bzw. undifferenzierte Möglichkeiten der Verhängung von Schubhaft über Asylwerbende im Fremdenpolizeigesetz, humanitäre Aufenthaltstitel bzw. die Einkommenshöhe im Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz sowie die Altersfeststellung minderjähriger Asylwerber im Asylgesetz. Im Folgenden soll auf die legislativen Entwicklungen und Auswirkungen für die Betroffenen eingegangen werden, um auf diese Weise die Problemfelder zu skizzieren.

Bei der Volksanwaltschaft gingen zahlreiche Beschwerden wegen der großen Hürden bei Visaverfahren ein. Aus diesen kann gefolgert werden, dass der Erhalt eines Besuchervisums für maximal drei Monate oftmals genauso schwierig erscheint, wie der Erhalt eines Aufenthaltstitels. Auch das Erfordernis ausreichender finanzieller Mittel wird zu streng ausgelegt; der Versagungsgrund der nicht gesicherten Wiederausreise wird pauschal und ohne konkrete Gründe angeführt. Vor allem junge und alte Menschen, die im Heimatland keine Kinder und keinen gesicherten Arbeitsplatz haben sowie keine früheren Aufenthalte im Schengenraum vorweisen können, sind bei der Visumserteilung mangels ausreichender „Verwurzelung“ im Heimatland praktisch chancenlos.

Im Rahmen eines Prüfverfahrens der Volksanwaltschaft stellte sich heraus, dass die verfassungsrechtliche Judikatur bei der Schubhaftverhängung nicht beachtet wurde. Die betroffene Behörde hatte es unterlassen, im Sinne des verfassungsrechtlichen Gebots der Verhältnismäßigkeit einzelfallbezogene Abwägungen zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung des Verfahrens und der Schonung der persönlichen Freiheit der Betroffenen vorzunehmen. Auch wurden die ausgestellten Bescheide zur Verhängung der Schubhaft nicht individuell begründet. In diesem Zusammenhang nahm die Volksanwaltschaft auch zu einer weiteren Gesetzesänderung Stellung, durch die über Asylwerbende Schubhaft verhängt werden kann. Sie kritisierte, dass es aufgrund von unbestimmten gesetzlichen Formulierungen für die Anordnung von Schubhaft zu Problemen bei der Auslegung im Zuge des Vollzugs kommen könnte. Durch diese Gesetzesänderung entsteht der Eindruck, dass Probleme in Zukunft durch eine obligatorische Schubhaftverhängung (insbesondere bei Dublin-Fällen) umgangen werden sollen, was aus rechtsstaatlicher Sicht wenig wünschenswert ist. Bei den regelmäßig stattfindenden Sprechtagen in österreichischen Schubhaftzentren wurden zahlreiche Beschwerden über die Gründe der Schubhaftverhängung an die Volksanwaltschaft gerichtet.

Für zahlreiche Familien, die zunächst als Asylwerber nach Österreich kamen, den internationalen Schutz jedoch nicht zugesprochen bekommen hatten, war der so genannte humanitäre Aufenthalt die einzige Alternative. Bislang war es jedoch nur möglich, diesen von Amts wegen zu erteilen, es gab also für die Betroffenen keine Möglichkeit der Beantragung. Nach einer höchstgerichtlichen Entscheidung, dass ein Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen nicht nur von Amts wegen vergeben werden darf, sondern beantragt werden muss, kam es zu einer gesetzlichen Neuregelung des Systems humanitärer Aufenthaltstitel. Es besteht nun ein Antragsrecht sowie die Verpflichtung der Behörde, mittels Bescheides über einen solchen Antrag zu entscheiden. Besonders zu begrüßen war aus Sicht der Volksanwaltschaft, dass bei auf Dauer unzulässiger Ausweisung aus Gründen des Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention zwingend ein Aufenthaltstitel zu erteilen ist. Einige Fälle, die die Volksanwaltschaft schon länger verfolgte, konnten so erfolgreich gelöst werden. Jedoch gibt es vereinzelte Beschwerden zu einem rechtlich nicht unproblematischen Bereich: Anträge auf humanitäre Aufenthaltstitel haben keine aufschiebende Wirkung auf den Aufenthalt des Antragstellers im Inland. Wenn betroffene Personen im Laufe eines solches Verfahrens abgeschoben werden, besteht für sie keine Möglichkeit mehr, einen humanitären Aufenthaltstitel zu erhalten, da sie sich für eine positive Entscheidung im Inland aufhalten müssen.

Ein weiterer Kritikpunkt der Volksanwaltschaft betrifft die enge Bindung des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz an die Richtsätze des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz, wenn es um die Frage geht, ob für eine Aufenthaltsgenehmigung ausreichende Unterhaltsmittel vorliegen. Diese Verknüpfung nimmt den Vollzugsbehörden aus der Sicht der Volksanwaltschaft jeglichen Spielraum bei der Beurteilung. Eine weitere Gesetzesnovelle brachte eine erneute Verschärfung in diesem Bereich: Demnach werden die erforderlichen Einkünfte durch regelmäßige Aufwendungen geschmälert, insbesondere durch Mietbelastungen, Kreditbelastungen oder Unterhaltszahlungen an Dritte. Das bedeutet in der Praxis, dass die Betroffenen um diese monatlichen Belastungen mehr verdienen müssen, um die Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel überhaupt erfüllen zu können. Zahlreiche Personen wandten sich angesichts dieser kaum überwindbare Hürde an die Volksanwaltschaft, da sie die erforderlichen Einkommensgrenzen knapp nicht erreichten und somit keine Aufenthaltsgenehmigung bekommen konnten. Betroffen von dieser Regelung sind auch Ehepartnerinnen und Ehepartner von österreichischen Staatsbürgerinnen und -staatsbürger, die aufgrund der Unterschreitung der gesetzlich vorgesehenen Einkommenshöhe keinen Aufenthaltstitel erhalten.

Eine gesetzliche Änderung gab es auch bei der Altersfeststellung minderjähriger Asylwerberinnen und -werber. Dabei wird die Beweislast auf die Betroffenen übertragen. Kann die asylwerberin oder der –werber ihre bzw. seine Minderjährigkeit nicht beweisen, kann eine radiologische Untersuchung zur Altersfeststellung angeordnet werden. Kritisch wurde von der Volksanwaltschaft angemerkt, dass die Alterfeststellung ausschließlich durch eine radiologische Untersuchung erfolgt. Amtswegige Prüfverfahren der Volksanwaltschaft haben nämlich gezeigt, dass die zuständigen Verwaltungsbehörden selbst seit Anfang Februar 2009 mehrere Methoden zur Altersbestimmung anwenden, so zum Beispiel eine ärztliche körperliche Untersuchung, eine zahnärztliche Beschau oder eine Magnetresonanztomographie. Die im Gesetzesentwurf vorgesehene ausschließliche radiologische Untersuchung hätte einen Rückschritt im Vergleich zur jetzigen Situation bedeutet. Der Gesetzgeber griff diese Bedenken auf. Die mittlerweile in Kraft getretene Gesetzesnovelle sieht nun eine "multifaktorelle Untersuchungsmethode" zur Altersdiagnose vor.

Die Umsetzung der skizzierten Gesetzesnovellen oftmals ohne Übergangsfristen stellt nicht nur für die vollziehenden Behörden eine Herausforderung dar, sondern auch für die Betroffenen. Der Volksanwaltschaft ist daher ein nachhaltiger Dialog mit Ausländerhilfs- und Beratungsorganisationen sowie Migrantenmedien ein wichtiges Anliegen. Im Juni 2010 wurden zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen zu einer einer Informationsveranstaltung eingeladen, bei der die Volksanwaltschaft ihre Aufgabenfelder vorzustellte und speziell auf Handlungsmöglichkeiten bei Beschwerden im Fremden- und Asylrecht hinwies. Durch ähnliche Aktivitäten in der Zukunft sollen diese Mulitplikatoren einerseits umfassend über neue Entwicklungen im Fremden- und Asylrecht auf dem Laufenden gehalten werden, andererseits soll die Kenntnis über die Arbeit der Volksanwaltschaft vertieft werden.