ORF-Bürgeranwalt vom 02.06.2012 mit Volksanwältin Dr. Gertrude Brinek

2. Juni 2012

Passende Behandlung nur innerhalb der Landesgrenzen?

 

Eine Stunde bevor er ins Wochenende gehen wollte, war das Leben von Herrn L. noch ganz normal. Er telefonierte mit seiner Familie und bereitete sich auf die Heimfahrt vom Burgenland, wo er auf einer Baustelle gearbeitet hatte, nach Salzburg vor. Der Herzinfarkt, den Herr L. wenig später erlitt, änderte alles. Der Mann wurde zum Wachkomapatienten, kam in verschiedene Krankenhäuser, und wurde schließlich vor vier Monaten in das Herz-Jesu-Heim in der Stadt Salzburg verlegt – ein Seniorenheim, das nicht auf die Therapie und Pflege von Wachkomapatienten ausgerichtet ist.

Seither bemüht sich die Familie des vierfachen Vaters um eine Verlegung in eine geeignete Einrichtung, da jede Besserung in den ersten beiden Jahren die spätere Pflege wesentlich erleichtern würde. Eine solche Institution fand die Familie auch, allerdings nicht innerhalb der Salzburger Landesgrenzen, sondern in Graz. Die dortige Albert-Schweitzer-Klinik ist auf die Betreuung von Wachkomapatienten spezialisiert, sieht Verbesserungschancen bei Herrn L., hat freie Betten und befürwortet auch seine Aufnahme – allein, die Bezirkshauptmannschaft Tamsweg sieht dies nicht so.

Die Familie hatte einen entsprechenden Antrag bei der BH Tamsweg eingebracht. Sie suchte um eine Bezuschussung der Pflegekosten und um die Kostenübernahme für die Unterbringung in der Grazer Klinik an. Der Zuschuss wurde anstandslos gewährt, die Kostenübernahme für die Verlegung in die Albert-Schweitzer-Klinik jedoch abgelehnt, da diese keine Einrichtung nach vergleichbaren Vorschriften des Salzburger Behindertengesetzes sei. Außerdem sei die Hilfe nach dem Behindertengesetz auf die Stabilisierung eines nicht weiter verbesserungsfähigen Entwicklungsstatus gerichtet.

Eine Formulierung, die bei der Familie des Betroffenen auf Unverständnis stößt. Eine Verbesserung würde ja würde schon dadurch erzielt werden, wenn der Patient in Zukunft ohne Magensonde auskommen könnte. Das würde auch die spätere Unterbringung in einem nahe gelegenen Seniorenheim ermöglichen. So könnte die Familie auch die Besuche beim Vater besser organisieren.

Ihr Vater habe das Recht auf eine geeignete medizinische Behandlung, betonen die Kinder des Betroffenen. Verständlicherweise wollen sie nicht, dass mögliche Verbesserungen durch die Vorgehensweise der Behörden verhindert werden. Aus diesem Grund wandte sich die Familie schließlich an die Volksanwaltschaft, die die Entscheidung der BH Tamsweg ebenso nicht nachvollziehen kann.

Aus Sicht der Volksanwaltschaft spricht nichts – auch nicht das Salzburger Behindertengesetz – dagegen, den Betroffenen in Graz unterzubringen. Dies erklärte Volksanwältin Dr. Gertrude Brinek in der Studiodiskussion. Es sei verständlich, dass nicht in jeder Bezirkshauptstadt Spezialeinrichtungen geschaffen werden können. Die Betreuung von Patienten sollte aber nicht davon abhängig sein, auf welcher Seite von Landesgrenzen sie wohnhaft sind, so die Volksanwältin. Sie ortete auch Verbesserungsbedarf bei der Versorgung der rund 800 österreichischen Wachkomapatienten.

Ob die Albert-Schweitzer-Klinik wirklich geeignet ist, steht für das Amt der Salzburger Landesregierung jedoch nicht fest. Der Leiter der Sozialabteilung verwies jedoch in der Studiodiskussion darauf, dass der Akt erst seit Kurzem im Amt der Landesregierung sei, die ersten Schritte aber schon eingeleitet wurden. So soll ein neurologisches Gutachten klären, ob eine Verlegung des Patienten möglich ist, zudem wurde die steiermärkische Landesregierung mit der Klärung der Frage, ob die Klinik den Anforderungen des Salzburger Behindertengesetzes entspricht, beauftragt.

Auch die Errichtung einer geeigneten Einrichtung in Salzburg wurde in der Studiodiskussion in Aussicht gestellt. Das Projekt habe sich jedoch um einige Jahre verzögert und soll nun in den Jahren 2013-2014 fertig gestellt werden. Herr L. wird davon also nicht profitieren können, denn er benötigt rasche Unterstützung.

Die Volksanwältin will die ganze Diskussion dezidiert nicht als Kritik am Herz-Jesu-Heim in Salzburg verstanden wissen, handelt es sich dabei doch um ein Pflegeheim, das diese Spezialleistungen einfach nicht erbringen kann. Jedoch ist die erforderliche Kapazität in Graz frei – einen Grund mit der Entscheidung für das Wohl des Patienten zu warten, gibt es daher für Dr. Brinek nicht.

 

Nachgefragt: Warum wird das Pflegegeld nicht erhöht?

 

Auch in der Rubrik nachgefragt geht es diesmal um die Folgen eines Herzinfarkts. Herr N., ein Familienvater, erlitt vor eineinhalb Jahren einen Herzinfarkt. Bereits zwei Wochen nach seiner erstmaligen Entlassung musste der Betroffene schon wieder ins Krankenhaus eingeliefert werden. Eine Behandlung folgte der anderen – wobei es ihm nach jedem Krankenhausaufenthalt schlechter gegangen sei, berichtet seine Gattin. So kam es, dass der Landwirt zum Pflegegeldbezieher wurde. Anfänglich wurde dem sechsfachen Vater nur die Pflegegeldstufe 2 gewährt, allerdings verschlechterte sich sein Zustand zusehends, sodass er sogar von einem Kuraufenthalt mit der Begründung, dass er ein Pflegefall sei, nach Hause geschickt wurde.

Erst im April 2011, als der Pflegeaufwand bereits von Gattin und Sohn fast nicht mehr zu schaffen war, wird Herrn N.N. Pflegegeldstufe 4 zuerkannt – laut Einschätzung des behandelnden Arztes aber eindeutig zu wenig. So musste etwa eine 24-Stunden-Pflegekraft angestellt werden, um den inzwischen bettlägrigen Mann versorgen zu können. Gegen diese Entscheidung legte die Gattin Einspruch ein, die Reaktion darauf ließ aber auf sich warten. Nach einem halben Jahr suchte ein gerichtlicher Sachverständiger die Familie auf, um den tatsächlichen Pflegeaufwand neuerlich abzuschätzen. Dieser habe sich jedoch mehr für die Ausstattung des Hauses als für den Patienten selbst interessiert, berichtet die Gattin des Betroffenen. Auch das vom Sachverständigen erstellte Gutachten versetzte die gesamte Familie in Erstaunen, beschreibt es doch einerseits die gänzliche Immobilität des Patienten, andererseits bestehe laut Gutachten aber kein deutlicher Funktionsausfall aller Extremitäten. Die Notwendigkeit einer „24-Stunden-Pflege“ bestehe demnach nicht. Die Sozialversicherung der Bauern (SVB) habe sich - jovial gesagt - „nix gepfiffen“, so war zumindest der Eindruck der Ehefrau, als sie den Antrag auf Erhöhung des Pflegegeldes gestellt hatte.

Vom Fall der burgenländischen Familie betroffen, kündigte der Vertreter der SVB noch in der Studiodiskussion an, binnen eines Monats die Erstellung eines neuen medizinischen Gutachtens anzuberaumen, um die Angelegenheit so im Sinne der Familie klären zu können.

Und die Sozialversicherungsanstalt der Bauern hielt Wort. Kurze Zeit nach der Sendung wurde ein neues Gutachten erstellt, dieses Mal von einer Diplomierten Pflegerin. Sie legte besonderes Augenmerk auf den Pflegeaufwand und bestätigte, dass die Pflegeleistung nur durch zwei Personen erbracht werden kann. Dementsprechend wurde auch die Pflegegeldstufe 6 zuerkannt.

Die neue Pflegegeldstufe räumt der Familie wesentlich bessere finanzielle Möglichkeiten ein, und stellt auch sicher, dass pflegerische Leistungen zugekauft werden können, freut sich Volksanwältin Brinek über den positiven Ausgang des Falles.