Selbst schuld? Gewalt gegen Frauen ist (k)ein Tabu-Thema
Im Rahmen der Kampagne „16 Tage gegen Gewalt an Frauen und Mädchen“ wollen die Medizinische Universität Wien, der Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF) und die Volksanwaltschaft einen wichtigen Beitrag zur Bewusstseinsbildung beitragen. Mit der interdisziplinären Vorlesungsreihe „Eine von fünf“ und der Publikation „Gewaltschutz für Frauen in allen Lebenslagen“ sollen Expertinnen und Experten aber auch die breite Öffentlichkeit für das Thema Gewalt an Frauen und Mädchen in Österreich sensibilisiert werden.
Das Ausmaß der Gewalt an Frauen ist erschreckend hoch. Jede fünfte in Österreich lebende Frau ist körperlicher oder sexueller Gewalt ausgesetzt. Im Jahr 2016 wurden in Österreich insgesamt 8.637 Betretungsverbote verhängt. 1.588 Frauen und 1.673 Kinder fanden Zuflucht und Schutz in einem der österreichischen Frauenhäuser. Viele Betroffene fühlen sich mit ihren Gewalterfahrungen allein gelassen und schämen sich dafür „Opfer“ zu sein. Zu groß ist deren Angst und oft auch der Irrglaube, selbst an den verbalen und körperlichen Übergriffen ihrer (Ex-) Partner schuld zu sein und diese „verdient zu haben“. Deshalb suchen sie nur selten nach professioneller Hilfe.
Täter stärker zur Verantwortung ziehen
Obwohl Österreich bereits viel zum Schutz von Frauen und Kindern in der Familie beigetragen hat und international als Vorbild im Gewalt- und Opferschutz gilt, gibt es dennoch einige gravierende Lücken und Defizite, wie auch der am 27. September veröffentlichte Bericht des Europarates aufzeigt. So werden beispielsweise hierzulande monatlich mindestens zwei Morde an Frauen in der Familie verübt. „Oft ist der Mord der schreckliche Höhepunkt einer langen Gewaltgeschichte. Denn Tötungsdelikte und schwere Körperverletzungen durch den eigenen Partner passieren nicht aus heiterem Himmel, meistens gibt es Warnzeichen“, erklärt. Mag.a Maria Rösslhumer vom AÖF. Diese müssen von Polizei und Justiz erkannt und ernst genommen werden. Das geschieht jedoch zu selten. Der Staat ist daher aufgefordert, Gewalt an Frauen ernst zu nehmen, mehr in die Sicherheit von Frauen und Kindern zu investieren und verstärkt Täter zur Verantwortung zu ziehen.
„Die Spirale dreht sich, familiäre Gewalt lässt sich oftmals über Generationen und ‘Traditionen’ zurückverfolgen. Eine Frau von fünf (Frauen) ist in Österreich von Gewalt bedroht – im privaten Umfeld genauso wie im öffentlichen Raum; Gewaltprävention gehört in einer zeitgemäßen Gesellschaft daher zu den drängenden Herausforderungen“, sagt Volksanwältin Dr.in Gertrude Brinek.
Insbesondere in Hinblick auf Wiederholungstäter fordern die Medizinische Universität Wien, der Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF) und die Volksanwaltschaft mehr Täterarbeit. Bereits nach der ersten Wegweisung sollten diese ein verpflichtendes Anti-Gewalttraining absolvieren. Die Opfer sollten zusätzlich durch eine verstärkte Aufklärungsarbeit unterstützt werden.
In sieben Schritten zu einem gewaltfreien Leben
Um der Tabuisierung und Verharmlosung dieses gesamtgesellschaftlichen Problems aktiv entgegenzuwirken, veranstaltet das Zentrum für Gerichtsmedizin der MedUni Wien in Kooperation mit dem Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF) und der Volksanwaltschaft zwischen 23. November und 14. Dezember 2017 die interdisziplinäre Ringvorlesung „Eine von fünf“.
An insgesamt sieben Vorlesungstagen werden beispielhaft die einzelnen Schritte einer betroffenen Ehefrau und Mutter von zwei Kindern auf dem Weg in ein gewaltfreies Leben durch insgesamt 23 Vortragende verschiedener Professionen erörtert. Dabei werden einerseits die Möglichkeiten einer bestmöglichen Betreuung und wirksamen Unterstützung durch verschiedene Hilfseinrichtungen aufgezeigt. Andererseits wird auch die Täterperspektive dargestellt und ausführlich diskutiert.
„Die Vorlesungsreihe will Studierende aus unterschiedlichen Fachrichtungen dafür gewinnen, sich im Hinblick auf ihre zukünftige berufliche Praxis sowie im wissenschaftlichen Kontext mit der Gewaltthematik und den für die Betroffenen daraus resultierenden gesundheitlichen Problemen intensiv zu befassen“, erklärt Univ.-Prof.in Dr.in Andrea Berzlanovich, Lehrveranstaltungsleiterin an der Medizinischen Universität Wien, und gibt erste Einblicke in die Inhalte der Vorlesungsreihe. „Denn ob involvierte Gesundheitsfachkräfte Verletzungen und Beschwerden bei ihren Patientinnen als Folge von Gewalt erkennen, ob sie diese präzise dokumentieren und ob sie in ihrer Ausbildung darauf vorbereitet wurden, ist ein entscheidender Faktor dafür, dass Frauen über ihre Erfahrungen sprechen und Hilfe bei professionellen Einrichtungen finden“, so Berzlanovich weiter.
Publikation zum Gewaltschutz für Frauen als Orientierungshilfe
Im Zuge der Ringvorlesung wird auch die Publikation „Eine von fünf. Gewaltschutz für Frauen in allen Lebenslagen“ vorgestellt, ein thematisch strukturierter Band, der allen Interessierten, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Vortragreihe, institutionell Befassten, sowie der engagierten Öffentlichkeit, eine nützliche Informationsbasis, Sensibilisierung und Hilfe sein will.
Rückfragehinweis:
Mag. Agnieszka Kern, MA
Volksanwaltschaft
Abteilung Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation
Tel.: +43 (0) 1 515 05 – 204
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