Volksanwältin Brinek bei Fachtagung über Gutachten im Obsorge- und Besuchsrechtsstreit

5. Oktober 2009

Aus Sicht der Volksanwaltschaft sind verstärkte Kommunikation unter den Betroffenen und eine stärkere Transparenz bezüglich der Entscheidungsbasis notwendig

Volksanwältin Dr. Gertrude Brinek nahm am 5. Oktober 2009 an einer Veranstaltung des Obersten Gerichtshofes zur teil, bei der sie dieses Thema aus Sicht der Volksanwaltschaft ausführte. Für Brinek ist die Befassung des OGH ein Zeugnis dafür, dass nicht nur Sensibilität für die Entwicklung der künftigen Generationen besteht, sondern auch Handlungsbedarf gesehen wird.

In der laufenden Tätigkeit der Volksanwaltschaft sind drei Beschwerdegruppen identifizierbar.Bürgerinnen und Bürger kritisieren erstens die mangelnde Qualität von Gutachten: Oft ist den Betroffenen unklar, dass bei einem Gutachten das Kindeswohl im Vordergrund steht und nicht die Fortsetzung des Beziehungskrieges mit anderen Mitteln. Nicht immer wird verstanden, dass der Gutachter nicht als Therapeut fungiert, sondern dass das Gutachten als Grundlage für eine Gerichtsentscheidung dient. Präzisere Ausführungen im Gutachten könnten Missverständnissen vorbeugen.

Betroffene wehren sich zweitens ebenfalls gegen die lange Verfahrensdauer bis zu einer Entscheidung: Diese Beschwerden sind meist strukturell bedingt, das Zusammenwirken von Gericht und Gutachtern ist verbesserbar. Vorschläge zur Verbesserung des Zahlenverhältnisses von Familienrichterschaft und Sachverständigen sind daher sehr willkommen. Auch sollte die Gutachtertätigkeit zusätzlich attraktiver gestaltet werden.

Bürgerinnen und Bürger kritisieren drittens den Inhalt der richterlichen Entscheidung selbst: In diesem Bereich besteht der nachhaltige Eindruck, dass ein Sich-Abfinden mit der Gutachter-Aussage bzw. mit der Gerichtsentscheidung den Elternteilen oder auch Großeltern so gut wie nie möglich ist. Das Projekt des Kinderbeistandes könnte hier positive Impulse setzen, da damit bereits im Zuge einer Scheidung das Einvernehmen gesucht und hergestellt werden kann.

Volksanwältin Brinek konstatiert, dass die Bedingungen für ein fruchtbares Zusammenwirken von Gutachtern und dem Gericht schwieriger geworden sind. Die negativen medialen Schlagzeilen über schlampige Gutachterarbeiten und Gutachtermangel in den letzten Monate haben ein Übriges dazu beigetragen. Unbestritten ist, dass das familiäre Zusammenleben in der letzten Zeit durch das Ansteigen der Scheidungszahlen, multiethnische Ehen und Patchwork-Familien deutlich komplexer geworden ist. Trotzdem ist der Gedanke, dass Kindererziehung auch mit Kompetenz und professioneller Hilfe verbunden sein kann, noch nicht selbstverständlich. Dies trifft vor allem auf Eltern in Krisen- und Konflikt-Situationen zu.

Gleichzeitig begegnet die Gesellschaft Gutachten und Gerichtsentscheidungen, die Kinder betreffen, besonders aufmerksam und sensibel – durchaus im Wissen, dass falsche Entscheidungen schwerwiegende Folgen haben können. Für Gutachter und Gericht gilt, dass es immer eine Restunsicherheit gibt. Für Volksanwältin Brinek kann es daher nicht genug Kommunikation, Interpretation und Information gegenüber den Betroffenen geben. Eine verstärkte Kommunikation unter den Betroffenen und eine stärkeren Transparenz bezüglich der Entscheidungsbasis fördern die Akzeptanz der Entscheidung bei Betroffenen und unterstützen sie dabei, die Entscheidung besser annehmen zu können. Gleichzeitig können Gutachter ebenso wie die Richterschaft dann so effizient wie möglich und so professionell wie notwendig – unter zeitgemäßen wissenschaftlichen und professionellen Standards – handeln zu können.