Kostelka zu vergessenen Contergan-Opfern

20. April 2009

Österreichische Contergan-Opfer, die nicht bis 31. Dezember 1983 bei der deutschen Contergan-Stiftung Entschädigungszahlungen beantragten, werden aus deutschen Stiftungsmitteln nicht unterstützt. Grundlage dafür ist das deutsche Contergan-Stiftungsgesetz. Einige in Österreich lebende Contergan-Opfer, die mittlerweile zwischen 46 und 52 Jahre alt sind, haben die ursprüngliche Antragsfrist ohne ihr eigenes Verschulden versäumt. Die Volksanwaltschaft setzt sich daher aktiv dafür ein, dass der Deutsche Bundestag ausländischen Opfern eine weitere Möglichkeit der Antragstellung einräumt. Zusätzlich müssten für diesen überschaubaren Personenkreis Vorkehrungen auf nationaler Ebene getroffen werden, um existenzielle Notlagen im Alter besser meistern zu können.

Vor mehr als 51 Jahren, am 1. Oktober 1957, brachte das deutsche Pharma Unternehmen Grünenthal das Schlaf- und Beruhigungsmittel "Contergan" in 46 Ländern auf den Markt und bewarb die Verträglichkeit des Arzneimittels besonders auch für Schwangere. In Österreich wurde das Medikament unter dem Produktnamen "Softenon" vom Gesundheits-ministerium zugelassen und rezeptpflichtig vertrieben. Bis zum Verbot des Wirkstoffes Thalidomid Ende 1961 wurden weltweit an die 10.000 missgebildete Kinder geboren. Die ca. 3.000 Überlebenden sind heute zwischen 46 und 52 Jahre alt und leiden wegen den seit Geburt bestehenden körperlichen und/oder organischen Fehlbildungen auch unter erheblichen gesundheitlichen Spätfolgen.

Im September 2008 wandte sich Frau N. an die Volksanwaltschaft. Sie hatte erst im Vorjahr auf Grund von Medienberichten erfahren, dass ca. zwölf Contergan-Geschädigte in Österreich monatliche Entschädigungszahlungen der deutschen Stiftung erhalten. Gemeinsam mit neun anderen Betroffenen brachte sie im März 2008 Anträge ein und musste erfahren, dass Anspruchsberechtigungen ausländischer Opfer nur bis 31.12.1983 anerkannt werden konnten. Anders als in Deutschland wurde in österreichischen Medien bis in die 80-er Jahre hinein sehr wenig über Contergan-Opfer berichte. Auch von Behördenseite gab es keine gezielte Information über die näheren Modalitäten der Geltendmachung von Ansprüchen in Deutschland. Über dies gestaltete sich gerade in Österreich die Feststellung und die Prognostizierung von Contergan-Schädigungen schwierig. „Es gibt in Österreich immer noch keine qualifizierte medizinische Anlaufstelle, die Behinderungen gesichert auf eine Schädigung durch den Wirkstoff Thalidomid zurückführen können“, so die Vorsitzende der Volksanwaltschaft Gertrude Brinek am 18. April zu Ö1.

Basierend auf Kontakten mit Betroffenen könnten über 30 österreichische, in Deutschland nicht anerkannte Contergan-Opfer dringend eine finanzielle Unterstützung zur besseren Bewältigung des Alltags benötigen. Die Volksanwaltschaft hat bestehende Kontakte zum Petitionsausschuss des Deutschen Bundestag genutzt, um zu appellieren, Betroffenen eine nochmalige Antragsfrist einzuräumen, zumal die Herstellerfirma im Vorjahr die Bereitschaft bekundete weitere 50 Millionen Euro in die Contergan-Stiftung einbezahlen zu wollen. Das Gesundheitsministerium und das Justizministerium haben sich ebenfalls an die deutsche Bundesregierung gewandt.

Am 26. März 2009 hat der Bundestag den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zur Änderung des Zweiten Conterganstiftungsgesetzes zur weiteren Beratung an die zuständigen Ausschüsse überwiesen. Die Novelle soll bereits am 1. Juli 2009 in Kraft treten. Es hat zur Zeit den Anschein, als würde die Ausschlussfrist vom 1. Juli 2009 bis Ende 2010 für neuerliche Antragstellungen geöffnet werden können.
„Zusätzlich setzt sich die Volksanwaltschaft dafür ein, dass die österreichischen Contergan-Opfern auf nationaler Ebene finanzielle Unterstützung erhalten. In anderen europäischen Staaten gibt es bereits finanzielle Unterstützungen auf nationaler Ebene“, so Volksanwalt Peter Kostelka, in dessen Geschäftsbereich das Prüfverfahren fällt. Dies ist besonders wichtig, da der Pflege- und Therapiebedarf altersbedingt weiter ansteigt. Erschwerend für die persönliche Situation ist auch, dass mit dem Älterwerden der Contergan-Opfer auch deren Familienangehörigen gealtert sind, sodass immer mehr außerhäusliche Unterstützung notwendig wird. Die Volksanwaltschaft hat sich auch im Dezember 2008 an Gesundheitsminister Alois Stöger gewandt. Er wollte abklären lassen, ob für die Geschädigten in Österreich ein aus Bundesmitteln gespeister Fonds eingerichtet werden könnte. Eine abschließende Stellungnahme des Ressorts liegt noch nicht vor.