Brinek zu Pflegschaftsverfahren

3. April 2009

Jährlich sind in Österreich ca. 22.000 Kinder und Jugendliche von der Scheidung ihrer Eltern betroffen. Hinzu kommen noch jene Kinder und Jugendliche, deren Eltern unverheiratet waren. Im Pflegschaftsverfahren, also dort, wo es um Besuchsrechts- oder Obsorgeregelungen geht, ist die emotionale Belastung für alle Beteiligten besonders groß. Gleichzeitig stellt die Volksanwaltschaft im Rahmen zahlreicher Prüfverfahren immer wieder fest, dass Pflegschaftsverfahren in Österreich vielfach zu lange dauern. Um den regelmäßigen Beschwerden auf den Grund zu gehen leitete Volksanwältin Brinek zwei amtswegige Prüfverfahren ein, deren Ergebnisse nun vorliegen: „Der Verdacht der Volksanwaltschaft hat sich bestätigt: Es gibt in Österreich zu wenige gerichtlich beeidete Sachverständige in den für Pflegschaftsverfahren relevanten Fachgebieten. Die Erstellung von Gutachten dauert oftmals sehr lange. Die Volksanwaltschaft tritt daher für eine verstärkte Fristüberwachung ein“, fasst Brinek ein Ergebnis der Prüfverfahren zusammen. Die Volksanwältin tritt auch für einheitliche Standards bei der Erstellung von Gutachten ein und hält Kriterienkatalogen, wie sie schon erfolgreich in der Schweiz und in den Niederlanden eingesetzt werden, für überlegenswert.

Das Justizministerium bestätigte in seiner Stellungnahme an die Volksanwaltschaft den Mangel an psychologischen/psychiatrischen Sachverständigen besonders in den nordöstlichen Bundesländern. Für die Fachgebiete Familienpsychologie, Kinder- und Jugendpsychologie stehen den 490 österreichischen Außerstreit- und Familienrichtern in ganz Österreich nur 89 gerichtlich beeidete Sachverständige zur Verfügung. Die Volksanwaltschaft konnte aufgrund ihrer Prüftätigkeit erste Erfolge verbuchen: Das Justizressort ersuchte die Präsidenten der Oberlandesgerichte, bestehende Probleme betreffend die Auswahl der Sachverständigen, die Überwachung der Gutachtenserstattungen sowie Urgenzen und Säumnisfolgen bei Dienstbesprechungen zu erörtern und so die Fristüberwachungen zu verstärken.

In einem weiteren amtswegigen Prüfverfahren untersuchte die Volksanwaltschaft die in Österreich übliche Praxis bei der Begutachtung von Kindern im Rahmen von Strafverfahren und Pflegschaftsverfahren. Aufgrund der durch das Prüfverfahren gewonnenen Erkenntnisse unterstützt die Volksanwaltschaft in dieser Frage ein von der Kinder- und Jugendanwaltschaft Wien erarbeitetes Konzept, in welchem zahlreiche Kriterien zur Einvernahme von Kindern und zur Auswahl der Person des Sachverständigen aufgelistet sind. Ähnliche Modelle werden in der Schweiz und den Niederlanden seit einiger Zeit erfolgreich angewendet. Das Justizministerium teilte in einer Stellungnahme mit, dass Gespräche mit der Kinder- und Jugendanwaltschaft Wien aufgenommen wurden, um in einem Pilotprojekt die Möglichkeiten zur Umsetzung des Konzepts auszuloten.