„Taubstummenanstalten“: Frühere Bewohnerinnen und Bewohner von Internaten erhalten Heimopferrente

30. Juni 2023

In so genannten „Taubstummenanstalten“ in ganz Österreich wurden gehörlose Kinder geschlagen, verprügelt und misshandelt. Auch das Kommunizieren in der Gebärdensprache wurde mit Gewalt verhindert. Durch die Volksanwaltschaft beantragen viele Betroffenen eine Heimopferrente. Johanna Wimberger, Leiterin des Büros der Heimopferrenten-Kommission in der Volksanwaltschaft, hat darüber mit „Gebärdenwelt“ gesprochen.

„Sadistisches Treiben in Gehörlosenanstalt“ – ORF-Beitrag über die Taubstummenanstalt in Salzburg auf dem Youtube-Channel des Österreichischen Gehörlosenbundes

 

Seit etwa einem Jahr melden sich Betroffene gehäuft bei der Volksanwaltschaft. Viele leiden ein Leben lang psychisch an den Folgen der damaligen Misshandlung, aber auch finanziell, denn vielen war später ein normales Berufsleben nicht möglich. Der Staat zahlt ihnen als symbolische Wiedergutmachung eine monatliche Heimopferrente.

„Schon mehrere 100 haben sich bei der Volksanwaltschaft gemeldet. In allen Internaten von ‚Taubstummenanstalten‘, auch in Salzburg, zeigt sich das gleiche Bild wie auch schon bei anderen Einrichtungen, wo Kinder und Jugendliche längere Zeit untergebracht waren. Die Kinder wurden gequält, misshandelt und es kam auch immer wieder zu sexuellen Übergriffen“, berichtet Wimberger, über deren Schreibtisch die Anträge auf Opferrente gehen.

Gebärdensprache war verboten

Aus heutiger Sicht völlig unvorstellbar: Die gehörlosen Kinder durften nicht in der Gebärdensprache kommunizieren. Es wurde sogenannte Lautsprache-Methode unterrichtet, das heißt, die Kinder mussten Lippenlesen lernen bzw. mussten sie lernen, selber Laute zu bilden. „Das Verbot der Gebärdensprache wurde auch mit Gewalt durchgesetzt“, betont Wimberger.

Kinder wurden gezwungen zu essen, aber Essensentzug wurde auch als Strafmaßnahme eingesetzt, zum Beispiel, wenn man gebärdet hat oder wenn man sich nach Ansicht der Erzieherinnen und Erzieher nicht ordentlich benommen hat. Oder die Kinder wurden weggesperrt, in ein Kämmerchen eingesperrt und auch geschlagen.

„Konkret zur Taubstummenanstalt Salzburg wurde uns auch über Haarausreißen und über Schläge berichtet. Was auch besonders schockierend war — das haben sehr viele Betroffenen uns gegenüber erzählt — dass Erzieherinnen von den Buben beim Duschen Fotos angefertigt haben. Und das ist natürlich eine sehr irritierende und beklemmende Situation“, sagt Wimberger.

Salzburger Anstalt kein Einzelfall

Die Situation in Salzburg war aber kein Einzelfall, die Situation war in Einrichtungen in ganz Österreich ähnlich. Wimberger appelliert: „Ich bitte alle Betroffenen, sich bei der Volksanwaltschaft zu melden. Es gibt Unterstützungsmöglichkeiten und die Volksanwaltschaft prüft auch wirklich jeden Fall sehr gewissenhaft und nimmt sich jeden Fall an und wir nehmen diese Vorwürfe auch sehr ernst und wollen den Betroffenen Gehör verschaffen.“