Strafanstalten brauchen Systemänderung

4. Juni 2014

Menschenrechtsverletzungen in Gefängnissen, Pflegeheimen oder anderen Einrichtungen, wo Personen die Freiheit entzogen wird, seien letztendlich nur in enger Kooperation von Volksanwaltschaft, Politik und Zivilgesellschaft zu verhindern. Das verdeutlichte heute Volksanwalt Günther Kräuter im Volksanwaltschaftsausschuss des Nationalrats. Wie seine Kollegin Gertrude Brinek betonte er, gerade im Maßnahmenvollzug von Justizanstalten hätten die präventiven Kontrollkommissionen schon bei ihren ersten Besuchen gravierende Mängel festgestellt. Allerdings könne die Volksanwaltschaft als Prüforgan nur die Verantwortlichen, im Fall von Strafanstalten das Justizministerium, zum Handeln bewegen, habe selbst jedoch keine Anordnungsbefugnis. Ähnliches führte Peter Fichtenbauer zu Missstandsfeststellungen im Polizeibereich aus und verwies auf das Bemühen des Innenministeriums, die psychische Belastung aller Beteiligten, etwa bei Abschiebungen, so gering wie möglich zu halten.

Die Rolle der Volksanwaltschaft als Nationaler Präventionsmechanismus zum Schutz der Menschenrechte war heute Hauptthema des Ausschusses, nachdem letzte Woche ihre Aktivitäten bei der nachprüfende Verwaltungskontrolle zur Debatte standen (siehe PK Nr. 415). Zudem befassten sich die Abgeordneten bei der heutigen Sitzung noch eingehender als vorige Woche mit der Forderung nach einer ausgeweiteten Prüfberechtigung für die Volksanwaltschaft auf ausgelagerte Unternehmen der Öffentlichen Hand. Ein dazu diskutierter Antrag der Grünen hatte nämlich dieses Anliegen der VolksanwältInnen aufgenommen. Gegenständlicher Entschließungsantrag wurde zwar vorerst vertagt, allerdings deuteten SPÖ und ÖVP an, die Verhandlungen über eine neue Rechtsgrundlage für ein breiteres Prüfmandat der Ombudsstelle liefen bereits und sollten mit einer fraktionsübergreifenden Gesetzesinitiative zügig zu Ende gebracht werden.

Präventivprüfung soll Menschenrechte schützen

Unangekündigte Besuche in Einrichtungen, wo Menschen die Freiheit zumindest potentiell entzogen wird, und die Beobachtung von Polizeieinsätzen sind seit 2012 Aufgaben der Volksanwaltschaft. Österreich trägt damit den UN-Fakultativprotokollen gegen Folter und andere unmenschliche Behandlungen (OPCAT) sowie der UN- Behindertenrechtskonvention Rechnung. Volksanwalt Günther Kräuter schilderte eingangs die Funktion dieses Präventionsmechanismus im Detail, räumte dabei jedoch ein, den hundertprozentigen Schutz vor Menschenrechtsverletzungen könne die Volksanwaltschaft angesichts der Fülle an Prüfungen damit nicht gewährleisten. Man arbeite aber mit Menschenrechtsbeirat, NGOs und auch auf internationaler Ebene intensiv daran, die präventive Kontrollfunktion der Volksanwaltschaft weiter zu verbessern.

2013 führte die Volksanwaltschaft bzw. die jeweils zuständige Kontrollkommission im Rahmen ihrer präventiven Tätigkeit 530 Kontrollen durch, geht aus dem Tätigkeitsbericht der Ombudsstelle hervor, den der Ausschuss einstimmig annahm. Großteils unangekündigt wurden 89 polizeiliche Dienststellen, 52 Justizanstalten, 84 Einrichtungen der Jugendwohlfahrt, 67 Einrichtungen für Menschen mit Behinderung, 106 Alten- und Pflegeheime, 63 psychiatrische Krankenhausabteilungen und 4 Kasernen geprüft. 65 mal beobachtete die Volksanwaltschaft das Vorgehen der Polizei bei Demonstrationen und Abschiebungen, 61% dieser Beobachtungen waren ebenfalls unangekündigt. Gemäß OPCAT-Durchführungsgesetz dienen solche Kontrollen der Prävention von Menschenrechtsverletzungen und der Erarbeitung von Strategien zur Risikominderung. Bei der Überprüfung von Einrichtungen und Programmen für Menschen mit Behinderungen orientiert sich die Volksanwaltschaft an der UN- Behindertenrechtskonvention, die bestmögliche Inklusion zum Ziel hat. Beratend steht der Menschenrechtsbeirat aus VertreterInnen von NGOs und Ministerien der Volksanwaltschaft zur Seite.

Sinnvoll wäre zur tatsächlichen Durchsetzung von Systemänderungen in Folge von präventiven Prüfungen ein Rederecht der Volksanwaltschaft in sämtlichen Landtagen, erklärte Kräuter am Beispiel von Pflegeeinrichtungen und Unterkünften der Jugendwohlfahrt, die landespolitisch gesteuert sind. Derzeit bestehe eine solche eindeutige Berechtigung lediglich in Wien, auch wenn alle LandessozialreferentInnen bereits ihren Bedarf an direkten politischen Aussprachen mit der Volksanwaltschaft klargemacht hätten.

Maßnahmenvollzug als Brennpunkt in Justizanstalten

Nach kürzlich bekannt gewordenen massiven Verfehlungen in Justizanstalten richtete der Ausschuss den Fokus neuerlich auf den Zustand in den heimischen Gefängnissen. Vorbildlich schnell habe die Volksanwaltschaft aufgedeckte Missstände im Strafvollzug immer an das Justizministerium weitergeleitet, unterstrich Volksanwältin Gertrude Brinek, besonders wenn sich Mängel nicht im Anschluss an Kommissionenbesuche mit den Verantwortlichen vor Ort klären ließen. Vor allem im Maßnahmenvollzug, der zur Nachbetreuung psychisch beeinträchtigter Straftäter dient, hätten die Kommissionen beispielsweise in der Justizanstalt Stein gravierende Mängel festgestellt. Auf Grund des unzureichenden Bestands an Nachsorgeeinrichtungen würden viele Insassen überlange angehalten, so Brineks Kritik, weiters gebe es zu wenige GutachterInnen bzw. Qualitätsmängel bei Gutachten. Sie ortete darüber hinaus zwischen allen AkteurInnen im Strafvollzug ein großes Kommunikations- und Abstimmungsproblem, das letztlich den Häftlingen schade. Brinek wies in diesem Zusammenhang wiederum darauf hin, dass die Volksanwaltschaft nicht berechtigt sei, die Gefängnisleitung direkt zur Verantwortung zu ziehen. Als Reaktion auf die grobe Vernachlässigung eines Häftlings im Maßnahmenvollzug Stein habe die Volksanwaltschaft jedoch sogleich ein amtswegiges Prüfverfahren eingeleitet, damit alle Versäumnisse bei diesem Fall restlos aufgeklärt werden.

In ihrem Bericht rät die Volksanwaltschaft, zur Behebung der teils schweren Mängel bei der medizinischen Versorgung in Justizanstalten sei eine möglichst rasche Einbindung des angekündigten chefärztlichen Dienstes unumgänglich und, wenn Bedarf besteht, von gerichtlich beeideten DolmetscherInnen. Aufgezeigt wird außerdem, dass besonders für spezielle Gruppen wie Jugendliche im Strafvollzug nicht genügend Personal zur Verfügung stehe. Das Beschäftigungsangebot sei aufgrund der Personalknappheit ebenfalls eingeschränkt, auf Einnahmen ausgerichtete Anstaltsbetriebe müssten deswegen zeitweise schließen. Schon bevor die aktuellen groben Verfehlungen in einigen Gefängnissen bekannt geworden sind, hätten die Prüfkommissionen der Volksanwaltschaft bei ihren Besuchen festgestellt, dass häufig Personalmangel zu verlängerten Einschlusszeiten führe und die Betreuung der InsassInnen erschwere, so Volksanwältin Brinek. Das Personalproblem sei zwar nur langfristig lösbar, doch arbeite die Volksanwaltschaft derzeit in einer Arbeitsgruppe mit dem Justizministerium an einer systematischen Verbesserung der Betreuungsqualität im Maßnahmenvollzug, wobei Weiterbildungs- und Supervisionsangebote für JustizbeamtInnen eine wichtige Rolle spielten.

Jugendwohlfahrt: Gewaltprävention muss Priorität haben

Gewaltprävention und Deeskalation nannte Günther Kräuter als Schwerpunkte bei den Besuchen in Einrichtungen der Jugendwohlfahrt. An einigen dieser Wohngemeinschaften hätten die Prüfkommissionen nämlich ein überaus rigides Sanktionssystem durch die Betreuungspersonen vorgefunden, wenn Jugendliche sich nicht an die Regeln halten. Generell zu überdenken sei das System heiminterner Schulen und Werkstätten, so die Volksanwaltschaft, weil Minderjährigen dadurch die Integration außerhalb der Einrichtung erschwert werde. Kräuter zufolge fehlt es jedoch an Datenmaterial über die Anzahl derartiger Heimschulen in Österreich. Eine Anregung aus dem Ausschuss, auch für über 18-Jährige die Unterbringung in Jugendheimen gesetzlich zu ermöglichen, griff der Volksanwalt zustimmend auf; seiner Ansicht nach wäre die diesbezügliche "kann- Bestimmung" in mehreren Bundesländern in eine bundesweite "soll- Regelung" zu ändern.

Mängelerhebung von Pflegeheimen bis Polizeidienst

Angesprochen auf die Nutzung von Netzbetten zur Fixierung von PatientInnen in psychiatrischen Krankenhäusern bzw. psychiatrischen Abteilungen in Krankenanstalten hielt Kräuter fest, von den Vereinten Nationen bis zum Europarat kritisierten auch internationale Organisationen diese Art des Freiheitsentzugs massiv. Ohne die oftmals exzellente Arbeit des Pflegepersonals in Kranken- und Altenheimen in Abrede stellen zu wollen, verwies Kräuter auf eine einstimmig gefasste Stellungnahme des Menschenrechtsbeirats, der darin auf die flächendeckende Abschaffung von Netzbetten in Österreich drängt. Die Anwendung von Psychopharmaka zur Ruhigstellung in Heimen hierzulande sei ebenso noch eingehend zu erheben. Dezidiert sprach sich der Volksanwalt überdies gegen den Einsatz privater Sicherheitsleute bei der Betreuung von Personen in Krankenanstalten und Psychiatrien aus. In mehreren Spitälern sei nämlich offensichtlich geworden, dass private Sicherheitsdienste aktiv bei der Fixierung von Menschen mitwirkten.

Auf keinen Fall zu privatisieren sei auch das staatliche Gewaltmonopol, spannte Volksanwalt Fichtenbauer den Faden weiter, nicht einmal auf Grund von Sparvorgaben. Bezugnehmend auf das hierbei thematisierte Schubhaftzentrum Vordernberg und den dort eingesetzten privaten Sicherheitsdienst meinte er allerdings, die mit nicht mehr als 20 Personen relativ geringe Zahl an Schubhäftlingen in dem Zentrum und dessen bauliche Ausgestaltung machten es zu einem Vorzeigemodell. Die Volksanwaltschaft hätte sich persönlich davon überzeugt. Insgesamt äußerte sich der Volksanwalt positiv über die Zusammenarbeit mit Polizeianhaltezentren und Polizeidienststellen, wo etwaige Problemfelder in eingehenden Gesprächen mit den Prüfkommissionen erörtert würden.

Über das Faktum der vermehrten Dienstbelastung von PolizistInnen, beispielsweise wegen überlanger Mehrdienstleistungen oder baulicher Mängel an den Dienststellen, bestehe im Innenministerium durchaus Bewusstsein, so Fichtenbauer. Für eine adäquate Einsatzgestaltung älterer ExekutivbeamtInnen habe das Ministerium deswegen bereits mit der Aktion 50+ Schritte gesetzt. Dessen ungeachtet merkte er an, komme der Volksanwaltschaft die bedeutende Aufgabe zu, Problemfelder beständig aufzuzeigen. So fehle es derzeit im gesamten polizeilichen Bereich, nicht nur in den Justizanstalten, an ausreichender psychologischer Betreuung, beanstandete Fichtenbauer.

Erweiterte Prüfkompetenzen der Volksanwaltschaft in Aussicht

Bis auf das Team Stronach erklärten sich heute alle Fraktionen im Ausschuss einverstanden mit der Vertagung des Grünen-Antrags auf erweiterte Prüfkompetenzen der Volksanwaltschaft. Bereits mehrmals haben die VolksanwältInnen gefordert, zur vollständigen Erfüllung des Kontrollauftrags im Sinne der Bevölkerung sei das Prüfmandat der Ombudsstelle auf ausgegliederte Rechtsträger, an denen Bund, Länder oder Gemeinden beteiligt sind, auszuweiten. Volksanwalt Peter Fichtenbauer pflichtete heute Abgeordneter Maria Fekter (V) bei, die monierte, obwohl sowohl Volksanwaltschaft als auch Rechnungshof Hilfsorgane des Nationalrats seien, verfüge Letzterer über weit mehr Kontrollbefugnisse. Wolfgang Zinggl (G) unterstützte die VolksanwältInnen in ihrem Anliegen mit einem eigenen Antrag, für den SPÖ-Mandatar Johann Hell vorerst die Vertagung beantragte, da die Gespräche über einen entsprechenden Gesetzestext bereits im Gange seien. Außerdem falle die Neuordnung des Volksanwaltschaftsmandats in den Zuständigkeitsbereich des Verfassungsausschusses.

 

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