Soziale Grundrechte in die Verfassung? – Parlamentsparteien diskutieren

11. Mai 2022

 Ergebnisse des NGO-Forums
„Soziale Grundrechte – Verankerung in der österreichischen Verfassung“

 

„Funktionsfähigkeit des Sozialstaats soll der Kontrolle durch den VfGH unterliegen", sagte Volksanwalt Bernhard Achitz bei der Kurzpräsentation der Ergebnisse des NGO-Forums der Volksanwaltschaft am 13. Mai 2022 in Wien. Nachdem die Arbeitsgruppen ihre Vorschläge erarbeitet hatten, gab es eine Podiumsdiskussion mit

  • Volksanwalt Bernhard Achitz
  • Rudolf Silvan, SPÖ
  • Peter Schmiedlechner, FPÖ
  • Agnes Sirkka Prammer, Die Grünen
  • Johannes Margreiter, NEOS
  • Moderation: Peter Resetarits, ORF

 

 

Das NGO-Forum der Volksanwaltschaft hat sich heuer mit dem Thema „Soziale Grundrechte“ beschäftigt. Die Verankerung sozialer Grundrechte in der österreichischen Verfassung wird schon seit Jahren diskutiert. Die Volksanwaltschaft vertiefte diese Diskussion am 12. und 13. Mai mit Mitgliedern des Menschenrechtsbeirats sowie mit Vertreter*innen der Armutskonferenz und zahlreicher NGOs und zivilgesellschaftlicher Gruppen.

„Wenn von den Menschenrechten die Rede ist, geht es fast immer um die politischen Bürgerrechte, um Freiheits- und Eigentumsrechte. Dass es auch soziale Menschenrechte gibt, das wird immer unter den Teppich gekehrt“, sagte Volksanwalt Bernhard Achitz: „Wir müssen die sozialen Menschenrechte stärken. Wenn wir sie in der österreichischen Verfassung festschreiben, sind sie zwar in manchen Fällen noch immer nicht individuell einklagbar, können aber politisch nicht mehr so leicht ausgehebelt werden.“ Und er erinnerte die Politik: „Auch im Regierungsprogramm steht, dass die Verhandlungen über einen umfassenden Grundrechtskatalog wiederaufgenommen werden sollen.“

„Österreich sollte nicht mehr der einzige EU-Staat ohne soziale Grundrechte in seiner Verfassung sein“, sagte Prof. Walter Pfeil (Universität Salzburg) in seinem Vortrag beim NGO-Forum am Donnerstag. Vorschläge gebe es genügend, ein Weg wäre unter Umständen, einzelne Bestimmungen aus bestehenden EU- und völkerrechtlichen Regelungen zu übernehmen und in den Verfassungsrang zu heben.

NGOs bringen zahlreiche konkrete Vorschläge ein

Anhand der Themen Armutsvermeidung, Gesundheit, soziale Absicherung (Arbeitslosigkeit, Alter, Unfall), Wohnen/Obdachlosigkeit, Daseinsvorsorge sowie Bildung haben die Vertreter*innen der Zivilgesellschaft dann einen Vorschlag erarbeitet, welche verfassungsrechtlichen Garantien welche konkreten Maßnahmen sicherstellen sollen. Dazu gehören etwa ein komplett neu zu denkendes Grundrecht auf Daseinsvorsorge. Das Recht auf Bildung soll dazu führen, dass die freie Schulwahl durch tatsächliche Kostenfreiheit gesichert wird. Ein Grundrecht auf Gesundheit soll dazu führen, dass eine Behandlungsgarantie umgesetzt werden muss, inklusive Zugang zu Psychotherapie. Ein Rechtsanspruch auf Pflege müsste auch durchsetzbar sein. Ein Grundrecht auf leistbares Wohnen muss zu massivem Ausbau des sozialen Wohnbaus führen. Um Armut zu vermeiden, müssten alle Sozialleistungen laufend an die Inflation angepasst werden. Scheinselbständige müssten unter den Schutz von Arbeits- und Sozialrecht gestellt werden.

Die Volksanwaltschaft wird die Vorschläge zusammenfassen und veröffentlichen.

Drohender Sozialabbau soll der Kontrolle des VfGH unterliegen

„Auch wenn es schwierig ist, soziale Grundrechte individuell einklagbar zu machen, ist ihre Verankerung in der Verfassung sinnvoll. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie schnell es passieren kann, dass die Politik in Grundrechte eingreift, sogar in verfassungsrechtlich verbriefte Grundrechte. Die sozialen Grundrechte sind leider nicht im selben Ausmaß verfassungsrechtlich verbrieft – und unterliegen daher nicht der Kontrolle des Verfassungsgerichtshofs. Aber auch ein Eingriff in soziale Rechte sollte der Kontrolle des VfGH unterliegen. Eine moderne Verfassung sollte nicht nur Grund- und Freiheitsrechte garantieren, sondern auch soziale Grund- und Menschenrechte“, meinte Volksanwalt Achitz. Für Freitag stand noch die Diskussion der Vorschläge mit Vertreter*innen der Parlamentsparteien auf der Tagesordnung.