Kein 10. Schuljahr für Jugendlichen mit Autismus-Spektrum-Störung

18. November 2023

Frau T. unterrichtete im Bezirk Gänserndorf ihren an Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) leidenden Sohn im häuslichen Unterricht. Alle Externistenprüfungen bestand der junge Mann. Zum häuslichen Unterricht sah sich die Mutter deshalb gezwungen, da die früher von ihm besuchte Schule keine adäquate Betreuung anbieten hatte können. Die Frau beantragte für ihren Sohn nach Beendigung der Schulpflicht für ein freiwilliges 10. Schuljahr die Aufnahme in die örtliche Sonderschule. Ein Gespräch mit der Schulleitung war für die Mutter zufriedenstellend verlaufen. Umso größer war ihre Überraschung, als sie am letzten Tag des Schuljahres einen Anruf erhielt, dass ihr Sohn die Schule nicht besuchen könnte. Er wäre nicht vom System erfasst und hätte bereits vor Wochen die Schule besuchen müssen.

Die Bildungsdirektion für Niederösterreich wies in ihrer Stellungnahme darauf hin, dass die Wochen nach dem Gespräch der Mutter mit der Schule dazu genutzt hätten werden müssen, um den Sohn vom häuslichen Unterricht zu entwöhnen und an den schulischen Unterricht zu gewöhnen. Die Mutter zeigte dafür kein Verständnis, da sie darauf weder die Bildungsdirektion noch die Schule rechtzeitig hingewiesen hatten.

Volksanwalt Walter Rosenkranz kritisierte die Vorgangsweise der Bildungsdirektion: „Nach einem zunächst positiven Gespräch mit der Schule hat die Mutter Ende Juni eine mündliche Absage erhalten und erst im Oktober einen Bescheid, den sie nun bekämpft.“ Über die weitere Vorgangsweise müssten nun Verwaltungs- und Verfassungsgerichtshof entscheiden. Die für den jungen Mann vor dem Einstieg ins Berufsleben so wichtige Sozialisierung in die Gesellschaft werde ihm bisher vorenthalten. „Wenn man sich als behindertenfreundliches Land zeigen möchte, wäre hier die Gelegenheit, dem jungen Mann den Besuch des freiwilligen 10. Schuljahrs zu ermöglichen“, schloss Rosenkranz mit einem Appell an die Bildungsdirektion für Niederösterreich.

 

Nachgefragt: Recht auf 11. und 12. Schuljahr für behinderte Kinder

Kinder mit Behinderung brauchen nach Ende der Schulpflicht eine Genehmigung der Bildungsdirektion, um noch ein freiwilliges 11. oder 12. Schuljahr anhängen zu dürfen. Eltern, die für ihr Kind keinen solchen Schulplatz mehr zugeteilt bekommen hatten, wandten sich daher an Volksanwalt Walter Rosenkranz.

Gerade bei Kindern mit verzögerter Entwicklung wäre es aus Sicht der Eltern vorteilhaft, wenn für sie die Schulpflicht später beginnen würde und sie die Schule länger besuchen dürften. Eine solche Möglichkeit besteht zurzeit jedoch nicht, deswegen bildete sich auch schon eine Bürgerinitiative, die ein Recht behinderter Kinder auf ein freiwilliges 11. bzw. 12. Schuljahr fordert und bereits 2022 eine gleichlautende Petition im Parlament einbrachte.

In einer Stellungnahme zu „Nachgefragt“ berichtete die Wiener Bildungsdirektion, dass im laufenden Schuljahr alle Kinder, deren Eltern ein 11. oder 12. Schuljahr beantragt hatten, einen Schulplatz bekommen hätten. Das Bildungsministerium schrieb außerdem, dass man in den letzten Jahren ausreichend Kapazitäten zur Verfügung gestellt hätte, dass aber kein Bundesland diese ausgeschöpft habe.

Volksanwalt Walter Rosenkranz meinte schon bei der Erstausstrahlung des Falls, dass eine bundesgesetzliche Änderung gefragt sei, um solche Fälle künftig zu verhindern. Im Gesetz solle ein Rechtsanspruch verankert werden, damit die Betroffenen nicht von Platzkapazitäten abhängig wären. Darüber hinaus äußerte er seine Hoffnung, dass im Bildungsministerium künftig anhand der bekannten Geburtenraten unter Berücksichtigung einer Pensionierungswelle der Lehrkräfte und eines Anstiegs an Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf der Bedarf besser vorausgeplant werde.