Kastenstände in der Schweinehaltung – Volksanwaltschaft bereitet Gang zum Verfassungsgerichtshof vor
2010 stellte die Volksanwaltschaft in einem amtswegigen Prüfungsverfahren fest, dass die Haltung von Zuchtsäuen in Kastenständen entsprechend der 1. Tierhaltungsverordnung nicht gesetzeskonform ist. Mit einem einstimmigen Beschluss wurde dem Gesundheitsminister empfohlen, unter stärkerer Berücksichtigung der Zielsetzungen des strengsten Tierschutzgesetzes Europas eine tierschutzgerechtere Neuregelung zu treffen, und die Kastenstandhaltung mit entsprechend langen Übergangsfristen abzuschaffen. Dies wäre nur in Einvernehmen mit dem Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft möglich. Da die diesbezüglichen Verhandlungen von Gesundheits- und Landwirtschaftsministerium nun schon seit Monaten zu keinem Ergebnis kommen und der Gesundheitsminister der Volksanwaltschaft vor Kurzem mitteilte, dass er derzeit keine Chancen auf eine Einigung sieht, wird die Volksanwaltschaft den Verfassungsgerichtshof mit dieser Frage befassen.
Das Prüfungsverfahren
In ihrem Prüfungsverfahren holte die Volksanwaltschaft Gutachten und Stellungnahmen renommierter österreichischer Tierschutzexperten ein. Sie gelangte zum Ergebnis, dass die Haltung von Zuchtsäuen in Kastenständen entsprechend der 1. Tierhaltungsverordnung zwangsweise mit massiver Einschränkung der Bewegungsfreiheit verbunden ist. Dies ruft Schmerzen, Schäden und Tierleid hervor und wird daher den Intentionen des Tierschutzgesetzes nicht gerecht. Denn auch im Bezug auf die Haltung von Zuchtsauen gilt die Maxime des § 1 Tierschutzgesetz, wonach der „Schutz des Lebens und des Wohlbefindens der Tiere aus der besonderen Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf" die uneingeschränkte Zielsetzung sein muss. Im September 2010 erging daher eine einstimmige Missstandsfeststellung und Empfehlung aller drei Mitglieder der Volksanwaltschaft an den Gesundheitsminister, mit entsprechenden Übergangsfristen die 1. Tierhaltungsverordnung diesbezüglich zu ändern.
Öffentliche Debatte
Die Volksanwaltschaft hat in Bezug auf die öffentliche Darstellung ihres Prüfergebnisses sehr sorgsam darauf geachtet, ihre Kritik ausschließlich auf die 1. Tierhaltungsverordnung zu fokussieren, in der es um die erlaubte Kastenstandhaltung von Zuchtsauen geht. Den heimischen Bäuerinnen und Bauern kann und darf die Tierhaltung, soweit diese der geltenden Rechtslage entspricht, ganz sicher nicht zum Vorwurf gemacht werden. Haltungsformen, die aus Tierschutzaspekten höchst problematisch sind, werden von den bäuerlichen Interessensvertretungen aber nicht nur als gesetzmäßig sondern auch als alternativlos dargestellt. Das ändert objektiv freilich nichts daran, dass im Tierschutz die angeblich hohen österreichischen Qualitätsstandards in der Schweinehaltung und -fleischproduktion derzeit 1:1 an EU-Mindeststandards ausgerichtet sind, die von den Schweinebauern mit einer Übergangsfrist bis 2013 gerade umgesetzt werden.
Die Volksanwaltschaft hat den Versuch unternommen, einen sachlichen Diskussionsprozess einzuleiten, der ausschließlich vor dem Hintergrund des geltenden Tierschutzgesetzes zu führen ist und von ihr auch so geführt wird. Die Volksanwaltschaft ist überzeugt, dass sich diese Debatte an internationalen Vergleichen und Studien orientieren sollte. So haben einige europäische Länder die Kastenstandhaltung (weitgehend) aufgegeben und dennoch keine höheren Ferkelverluste zu verzeichnen.
Reaktion auf die Missstandsfeststellung und Empfehlung der Volksanwaltschaft
Der Gesundheitsminister hat auf die Missstandsfeststellung und Empfehlung der Volksanwaltschaft reagiert und im März 2011 einen Verordnungsentwurf in Begutachtung geschickt. Dieser orientiert sich an den in der Schweiz geltenden Bestimmungen und drängt die Kastenstandhaltung ferkelführender Sauen zugunsten freier Abferkelbuchten stark zurück. Diese müssten so gestaltet werden, dass sich die Muttersauen frei bewegen und ihre Ferkel ohne die Einengung von Abferkelgittern säugen können. Die Mindestfläche müsste laut Entwurf angehoben, die Einzelhaltung im Kastenstand nach Besamung reduziert werden. Die vorgesehene Übergangsfrist bis 2020 steht für die Volksanwaltschaft außer Streit.
Die Volksanwaltschaft mahnte angesichts der deutlichen Positionsunterschiede wiederholt politische Verhandlungen ein. Diese hätten zum Ziel haben sollen, Ausstiegsoptionen aus dem Kastenstand für heimische Erzeuger zu erarbeiten. Gleichzeitig wäre dies aber auch eine Initiative zur Hervorhebung der Qualitätsvorteile österreichischen Schweinefleisches. Österreichische Schweinebauern produzieren vor allem Schweinefleisch für österreichische Konsumentinnen und Konsumenten. Die in der Werbung idyllisch vorgeführte Freilandhaltung von Schweinen schlägt sich in der Realität nur in 2% Bioschweinefleischerzeugung nieder. Eine aktuelle IFES Umfrage zeigt, dass 80 % der österreichischen Bevölkerung für ein Verbot von Kastenständen ist und auch tatsächlich bereit wäre, für Fleisch aus tierschutzgerechterer Haltung auch mehr Geld auszugeben.
In der Realität hingegen führt die vorrangige Fokussierung auf den Preiswettbewerb zu einem innerösterreichischen Konzentrationsprozess, der immer mehr an Dynamik gewinnen wird. Wurden 1995 noch ca. 3,7 Millionen Schweine von insgesamt 112.090 Betreiben versorgt, waren 2010 annähernd 3,13 Millionen Schweine in 30.805 Betrieben beheimatet. Die durch Übergangsfristen absehbare Umsetzung eines weitgehenden Kastenstandverbots würde für die heimischen Schweinebauern in der angespannten Wirtschaftslage zweifellos eine weitere Herausforderung darstellen. Vor dieser steht die Branche in Österreich aber ohnehin, weil Wettbewerbsbedingungen nicht nur innerhalb und außerhalb der EU-Staaten sondern auch zwischen den heimischen Schweinefleischerzeugungsbetrieben herrschen, was zur Verdrängung kleinerer Betriebe führt.
Anrufung des Verfassungsgerichtshofes
Bedauerlicherweise führten die Gespräche zwischen Gesundheits- und Landwirtschaftsministerium bisher zu keinem Ergebnis. Die Volksanwaltschaft hat vor Kurzem eine Stellungnahme des Gesundheitsministers erhalten, in dem dieser ausführt: „...Vor diesem Hintergrund und der Tatsache, dass in den vergangenen sieben Monaten zu keinem Zeitpunkt Vorschläge bzw. Bereitschaft zur Änderung der Haltung/Fixierung der Sauen in Abferkelbuchten signalisiert wurden, sehe ich zum jetzigen Zeitpunkt keine Chance auf Herstellung des für die Erlassung der 1. Tierhaltungsverordnung erforderlichen Einvernehmens."
Laut Art 148e der österreichischen Bundesverfassung kann die Volksanwaltschaft die Aufhebung einer Verordnung beim Verfassungsgerichtshof beantragen, wenn sie der Ansicht ist, dass diese gesetzeswidrig ist. Sollten es im Zuge etwaiger weiterer politischer Verhandlungen keinen Konsens geben, wird die Volksanwaltschaft von diesem Recht Gebrauch machen und beim Verfassungsgerichtshof einen Verordnungsprüfungsantrag einbringen. Nach Meinung namhafter Tierschutzexperten ist die Fixierung von Zuchtsauen im Kastenstand vor, während und nach der Geburt nicht mehr zu rechtfertigen. Dieser Expertise folgend, ist auch die Haltung von Zuchtsauen in Kastenständen, wie es die EU als Mindeststandard während 165 Tagen im Jahr aber erlaubt, dennoch auf Grundlage des österreichischen Tierschutzgesetzes verboten.