In Tirol müssen Twens im Altersheim leben

13. Dezember 2023

Mit Mitte 20 ein Leben im Altersheim, gemeinsam mit hochbetagten und dementen Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern, aber ohne Kontakt zu Gleichaltrigen? Was eigentlich maximal als kurzzeitige Not- und Übergangslösung vorstellbar sein sollte, wird regelmäßig zur Dauerlösung, weil die Politik dabei versagt, geeignete Wohnmöglichkeiten für junge Menschen mit Behinderungen zu organisieren und zu finanzieren. Tirol etwa verspricht seit Jahren Besserung, aber es passiert nichts. Deshalb hat die Volksanwaltschaft nun eine kollegiale Missstandsfeststellung an Landeshauptmann Anton Mattle geschickt.

Das „fehlende Angebot an Wohnformen und Betreuungsstrukturen zur bedarfsgerechten Versorgung junger Menschen mit psychischen und psychiatrischen Beeinträchtigungen in Tirol und die unzureichenden Bemühungen der Tiroler Landesregierung“ und die „Fehlplatzierungen junger Menschen (…) in Alten- und Pflegeheimen“ widersprechen der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und sind daher Missstände in der Verwaltung, schrieben die Volksanwälte Bernhard Achitz und Walter Rosenkranz sowie Volksanwältin Gaby Schwarz am 4. Dezember an den Tiroler Landeshauptmann.

29-Jähriger musste im Altersheim leben

Am 13. Mai 2022 besuchte die für Tirol zuständige Kommission der Volksanwaltschaft im Rahmen der Präventiven Menschenrechtskontrolle zum wiederholten Mal ein Wohnheim und musste feststellen, dass das Heim regelmäßig junge Menschen aus der Psychiatrie übernimmt, obwohl es sich um ein Alten- und Pflegeheim handelt. Dort stoßen sie auf starre Abläufe, fehlende Angebote für ihre Altersgruppe und nicht spezifisch ausgebildetes Personal. Bis kurz vor dem Kommissionsbesuch lebte dort 29-jähriger Mann, der danach in einer Obdachloseneinrichtung wohnte und schließlich auf der Straße. Die Volksanwaltschaft leitete ein Prüfverfahren ein und fragte bei der Tiroler Landesregierung wegen solcher Fehlplatzierungen nach.

Tirol schickt seit 2019 dieselbe Antwort, tut aber nichts

„Im Rahmen der Planungsarbeiten zum Strukturplan Pflege für die Jahre 2023-2033 werden die Ergebnisse zu diesen konkreten Überlegungen miteinfließen und in weiterer Folge die Umsetzung geplant.“ Dieser Text kam der Volksanwaltschaft allerdings bekannt vor, und in den Akten wurde man fündig: Seit dem Jahr 2019 hatte man immer wieder wortgleich dieselben Ankündigungen zum Abbau von Fehlplatzierungen junger Menschen in Alten- und Pflegeheimen erhalten. Passiert war aber nichts.

Kosten dürfen De-Institutionalisierung nicht verhindern

„Diese Fehlplatzierungen widersprechen eindeutig dem Recht von Menschen mit Behinderungen auf Selbstbestimmung, das sich aus der UN-BRK und der EMRK ergibt“, sagt Volksanwalt Bernhard Achitz: „Die UNO hat zuletzt in der Staatenprüfung im Sommer Österreichs fehlende Fortschritte bei der De-Institutionalisierung kritisiert. Tirol, aber auch andere Bundesländer, müssen dringend ein angemessenes Wohnangebot zur Verfügung stellen, damit Jugendliche nicht mehr im Altersheim leben müssen.“ Die Volksanwaltschaft fordert einen Etappen- und Finanzierungsplan. Achitz: „Die Kosten dürfen kein Grund sein, dass Österreich seinen Verpflichtungen aus der UN-BRK nicht nachkommt.“

Inklusion statt Diskriminierung

Die De-Institutionalisierung ist eine konkrete völkerrechtliche Verpflichtung Österreichs, seit es die UN-BRK unterzeichnet hat. Demnach braucht es ein adäquates Unterstützungs- und Assistenzangebot für Menschen mit Behinderungen, das ihnen Entscheidungsfreiheit ermöglicht. Achitz: „Ein selbstbestimmtes Leben bedeutet, dass die betroffenen Menschen auch so weit wie möglich selbst entscheiden können, wo und wie sie leben. Das ist Inklusion – alles andere ist Diskriminierung.“

Stichwort: Präventive Menschenrechtskontrolle

Die Volksanwaltschaft (VA) hat den verfassungsgesetzlichen Auftrag, zum Schutz und zur Förderung von Menschenrechten öffentliche und private Einrichtungen zu überprüfen, in denen Menschen in ihrer Freiheit beschränkt sind oder beschränkt werden können. Dazu zählen neben Gefängnissen auch Psychiatrien, Alten- und Pflegeheime, Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen sowie Kinder- und Jugend-WGs. Die Kommissionen der VA kontrollieren ohne konkreten Anlassfall pro Jahr etwa 500 Einrichtungen, in den allermeisten Fällen unangekündigt. Ziel der präventiven Menschenrechtskontrolle ist es, Rahmenbedingungen aufzuzeigen, die wahrscheinlich zu Menschenrechtsverletzungen beitragen. Institutionen werden unterstützt, Eingriffe in die Menschenrechte vorbeigend zu vermeiden.

SERVICE: Die Volksanwaltschaft ist unter post@volksanwaltschaft.gv.at sowie unter der kostenlosen Servicenummer 0800 223 223 erreichbar.