Ein besonderes Anliegen: Schutz von Kindern und Jugendlichen

11. Dezember 2017

Zum Tag der Menschenrechte stellte die Volksanwaltschaft einen eigenen Sonderbericht zum Thema „Kinder und ihre Rechte in öffentlichen Einrichtungen“ vor. Der Schutz von Kindern und Jugendlichen in öffentlichen Einrichtungen ist der Volksanwaltschaft ein besonderes Anliegen und bildete einen Schwerpunkt ihrer Tätigkeit im Jahr 2017. „Kinderrechte sind keine Sonderrechte, sondern Menschenrechte ohne Abstriche,“ sagte die derzeitige Vorsitzende der Volksanwaltschaft Dr. Gertrude Brinek.

Kindeswohl hat Vorrang

Kinder und Jugendliche zählen zu den besonders zu schützenden Personengruppen, ihre Rechte sind nicht verhandelbar. Sie basieren auf dem Prinzip der Teilhabe, Unterstützung und Partizipation. Die Politik sollte daher Kinder und Jugendliche in den Mittelpunkt stellen und ausgehend von ihren Bedürfnissen entsprechende Rahmenbedingungen schaffen. Das ist das Ziel des vorliegenden Sonderberichts, der auch dem Parlament und den Landtagen vorgelegt und im Plenum des Nationalrats und des Bundesrates diskutiert werden wird.

Die Aufgaben der VA

Zu den zentralen Aufgaben der Volksanwaltschaft zählen der Schutz von Kindern und Jugendlichen und ihrer Rechte. Seit 2012 besuchen Expertenkommissionen der Volksanwaltschaft Einrichtungen, in denen es zu Freiheitsentzug kommt oder kommen kann, darunter auch sozialpädagogische Einrichtungen für Kinder und Jugendliche oder Justizanstalten, in denen Jugendliche ihre Haftstrafen verbüßen. Im Rahmen der nachprüfenden Kontrolle beschäftigt sich die Volksanwaltschaft etwa mit chronisch kranken Kindern im Schulsystem oder thematisiert Versorgungslücken in der Gesundheitsversorgung von Kindern. „Die Volksanwaltschaft möchte mit diesem Bericht die Politik und die Gesellschaft auf die Einhaltung der Menschen- und Kinderrechte aufmerksam machen – über unsere Aufgaben als Menschenrechtshaus der Republik steht ‘to promote und protect’. Und dabei können wir gar nicht kreativ genug sein“, erklärte Brinek.

Anhand einiger ausgewählter Themenfelder illustrierten Volksanwältin Dr. Gertrude Brinek und Volksanwälte Dr. Peter Fichtenbauer und Dr. Günther Kräuter im Folgenden einzelne Aspekte dazu:

 

1.         Jugendliche in Haft

Die Zahl der inhaftierten Jugendlichen ist in den letzten Jahren wieder deutlich angestiegen. Die Ursachen für diese besorgniserregende Entwicklung sind vielseitig. Einerseits werden Jugendliche immer früher straffällig und die psychischen Auffälligkeiten bei jungen Menschen nehmen deutlich zu. Andererseits fehlen aber entsprechende sozialpädagogische Einrichtungen als Alternative zum Gefängnis.

Das Ziel des Jugendgerichtsgesetzes ist es, der Straffälligkeit Jugendlicher nicht ausschließlich mit Mitteln des Strafrechts zu begegnen und unerwünschte Folgen einer Verurteilung oder Haft zu vermeiden. Die Volksanwaltschaft fordert insbesondere diesen Grundsatz beim Vollzugsauftrag zu beachten.

Untersuchungshaft: Für viele Jugendliche ein Schock

Für die meisten Jugendlichen bringt eine Haft zahlreiche negative Aspekte mit sich: die Ausbildung wird unterbrochen, familiäre und soziale Kontakte reißen ab und es kommt zu einer Stigmatisierung als „Straftäterin“ oder „Straftäter“. Für manche Jugendliche kann die Haft aber auch eine „zweite Chance“ im Leben bedeuten. Viele haben in ihrem sozialen Umfeld Verwahrlosung und Gewalt erfahren. Einige sind substanzabhängig und haben die Lehr- oder Schulausbildung abgebrochen. Die Haft bedingt zwangsläufig eine geordnete Tagesstruktur und gibt einen gewissen Halt. Bei längeren Haftstrafen besteht die Möglichkeit, einen Schulabschluss oder eine Berufsausbildung nachzuholen.

Reintegration durch Ausbildung und Beschäftigung

Der Vollzugsalltag bringt besondere Herausforderungen mit sich. So herrscht beispielsweise in den Haftanstalten aufgrund des Beschäftigungsverbots für Lehrerinnen und Lehrer im Sommer Stillstand. Da sinnvolle Aktivitäten fehlen, wachsen die Aggressionen. Besonders gravierend wirkt sich dieser Mangel bei Jugendlichen aus, die ein besonderes Bedürfnis nach körperlichen Aktivitäten und intellektueller Betätigung haben.

Gut vorbereitet: Der Weg zurück in die Freiheit

„Um nicht in das Milieu zurückzufallen, dass Kriminalität fördert, sollten Gerichte aus dem vollen Schöpfen und je nach Voraussetzungen verschiedene Maßnahmen der Diversion setzen. Auch Sozialnetzkonferenzen sind ein geeignetes Mittel, die Verhängung oder Verlängerung von Haft zu vermeiden und sollten genutzt werden“, ist Brinek überzeugt.

Im normalen Leben wieder Fuß zu fassen, ist nicht leicht. Die Gefahr eines Rückfalls ist hoch, kann aber durch intensive Betreuungsarbeit bereits während der Haft abgefangen werden. Dabei kommt es nicht auf Institutionen, sondern auf die handelnden Menschen an.

 

2.            Kinder und Jugendliche im Schulsystem

„Chronisch kranke Kinder haben es nicht leicht. Das Umfeld macht den Umgang mit der Krankheit oftmals noch schwieriger“, erläutert der für den Schulbereich zuständige Volksanwalt Peter Fichtenbauer. So ist das österreichische Schulsystem noch immer nicht oder nur unzureichend auf die Bedürfnisse dieser Kinder vorbereitet. Dabei handelt es sich nicht um ein Randphänomen. Nach Angaben der Bürgerinitiative „Gleiche Rechte für chronisch kranke Kinder“ leben in Österreich mehr als 190.000 Kinder und Jugendliche mit chronischen Erkrankungen wie Asthma, Allergien, Diabetes, Rheuma und anderen.

Unsicherheit und Herausforderungen für Eltern und Lehrerschaft

Immer wieder erreichen Beschwerden der betroffenen Eltern die Volksanwaltschaft und prangern das mangelnde Verständnis aber auch Wissen der Schulen an. So soll eine Schule beispielsweise verlangt haben, dass sich die Eltern jederzeit während des Unterrichts vor der Schule im Auto bereitzuhalten haben, falls das Kind Unterstützung benötige.

„Zusätzlich besteht eine Rechtsunsicherheit, ob medizinische Hilfeleistungen für chronisch kranke Kinder von den Dienstpflichten als Lehrkraft erfasst werden. Wer haftet, wenn es zu Fehlern der betroffenen Lehrkraft kommt?“, thematisiert Fichtenbauer einen wichtigen Aspekt.

Im November 2016 hat die Volksanwaltschaft zahlreiche Forderungen zu chronisch kranken Kindern in einer Schriftenreihe zusammengefasst. Wenngleich bei der Umsetzung dieser Forderungen noch Spielraum nach oben erkennbar ist, trägt die Initiative bereits erste Früchte:

Erster Erfolg: Medizinische Tätigkeiten als Ausübung von Dienstpflichten

Durch das Bildungsreformgesetz 2017 werden gewisse medizinische Tätigkeiten durch Lehrpersonen nun eindeutig als Ausübung von Dienstpflichten anerkannt. Passieren dabei Fehler, haftet nicht primär die Lehrperson selbst, sondern der Staat als Dienstgeber im Wege der Amtshaftung. Davon profitieren alle Beteiligten. „Geschädigte sind nicht mehr dem Risiko der Zahlungsunfähigkeit der Schädigerinnen und Schädiger ausgesetzt, und die Lehrkräfte können nur mehr bei qualifiziertem Verschulden im Regresswege von Dienstgebern belangt werden“, so Fichtenbauer.

Die Volksanwaltschaft fordert, dass weitere Schritte gesetzt werden, um chronisch kranken Kindern die volle Teilnahme am schulischen Alltag zu ermöglichen. „Pädagoginnen und Pädagogen sollten ausreichend informiert werden. Medizinisches Wissen muss als fixes Ausbildungsmodul in der Lehrerausbildung verankert werden. Außerdem sollten speziell geschulte Ansprechpersonen innerhalb der Lehrerschaft zur Verfügung stehen, um rasch weiterhelfen zu können. Nach englischem oder skandinavischen Vorbild könnte ein sogenanntes „School-Nurse-System“ (Gesundheits- und Krankenpflegepersonen mit pädiatrischem Wissen) eingeführt werden“, empfiehlt der Volksanwalt. „Ich bin guten Sinnes, dass das auch gelingt. Wir bräuchten hier keine Pionierarbeit zu leisten.“

 

3.            Kinder und Jugendliche in Einrichtungen

Aus den Berichten der Volksanwaltschaft an das Parlament wird deutlich, dass sich die Lebens- und Aufenthaltsbedingungen von Minderjährigen in Einrichtungen im Vergleich zu vergangenen Jahrzehnten eindeutig zum Besseren gewandelt haben. Noch immer dokumentieren die Kommissionen der Volksanwaltschaft zuweilen unangemessene – teilweise sogar erniedrigende – Sanktionssysteme. In einer Einrichtung musste sich etwa ein Minderjähriger zur Strafe fast nackt in den Regen stellen. In einer anderen Wohngemeinschaft ließ man ein Kind, das seinem Bruder Duschgel ins Bett geschüttet hatte, die ganze Nacht in dem mit Duschgel getränkten Bett liegen. Immer wieder kommt es in Einrichtungen auch zu Übergriffen, häufig zwischen Minderjährigen selbst.

Volksanwalt Günther Kräuter: „Einerseits entschädigt die Republik Österreich nun Opfer seinerzeitiger Misshandlungen, andererseits werden auch heute noch vereinzelt Kinder und Jugendliche in Einrichtungen Opfer von Gewalt und Missbrauch. Das ist ein Skandal!“

Die Kommissionen der Volksanwaltschaft legen bei ihren Besuchen ihr Hauptaugenmerk auf die Lebens- und Aufenthaltsbedingungen der Kinder und Jugendlichen und führen mit ihnen dazu auch vertrauliche Gespräche. Deutlich wird daraus, dass Konzepte zur Gewaltprävention und sexualpädagogische Konzepte sowie eine Beteiligung der Minderjährigen in allen Fragen, die sie selbst berühren, nicht in allen besuchten Einrichtungen Standard sind. Kinder- und Jugendliche sollten zudem die Möglichkeit haben, eine kinderanwaltschaftliche Vertrauensperson zu kontaktieren, die auch regelmäßig in den Einrichtungen vor Ort ist.

Die Volksanwaltschaft fordert bundeseinheitliche Standards betreffend Personalschlüssel, Ausbildung und Tagsätze für alle Einrichtungen. Volksanwalt Kräuter: „Allen Kindern- und Jugendlichen steht das Recht auf bestmögliche Betreuung zu, unabhängig davon, in welchem Bundesland sie leben.“

Diskutiert wurden auch aktuelle Fälle wie die Sozialpädagogische Wohngemeinschaft Burgenland, die Wohneinrichtung in Niederösterreich und der Suizid eines 11-Jährigen Flüchtlings in Baden.

 

4.            Kinder- und Jugendpsychiatrie

In Österreich gelten rund 165.000 Kinder und Jugendliche als behandlungsbedürftig. Volksanwalt Günther Kräuter: „Sowohl in der ambulanten als auch in der stationären Versorgung gibt es jedoch gravierende Defizite.“ So fehlen derzeit in Österreich rund 400 Betten, das ist etwa die Hälfte der stationären Betten, die im Österreichischen Strukturplan Gesundheit vorgesehen sind. Auch im ambulanten Bereich ist Österreich unterversorgt. In der Steiermark und im Burgenland suchen verzweifelte Eltern vergeblich niedergelassene Kassenärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Eine Folge der mangelnden Versorgung ist, dass Kinder und Jugendliche immer wieder auf der Erwachsenenpsychiatrie landen, in Wien wurden im Vorjahr 163 Kinder und Jugendliche auf der Erwachsenenpsychiatrie untergebracht. Die Konfrontation mit psychisch erkrankten Erwachsenen ist für Minderjährige jedoch massiv belastend, da in diesem Umfeld nicht adäquat auf ihre Bedürfnisse eingegangen werden kann. Volksanwalt Kräuter: „Jahrelange Versäumnisse müssen endlich behoben werden. Die Volksanwaltschaft wird genau prüfen, dass entsprechende Ankündigungen auch eingehalten werden.“

 

5.            Übergewicht bei Kindern: Gesamtkonzept fehlt

Jeder dritte Bub und jedes vierte Mädchen in Österreichs Volksschulen sind übergewichtig, zehn Prozent der Kinder sind sogar adipös. Angesichts der alarmierenden Zahlen ist rasches Handeln gefordert. Die Volksanwaltschaft setzte sich sowohl mit dem Gesundheitsministerium als auch mit dem Bildungsministerium in Verbindung. Die bisherigen Maßnahmen erscheinen aus Sicht der Volksanwaltschaft nicht ausreichend, so ist etwa die Umsetzung der täglichen Turnstunde nicht flächendeckend gelungen.