„Bürgeranwalt“: Übertreiben es die Behörden mit der Quarantäne?

9. Mai 2020

In der Volksanwaltschaft und der ORF-Redaktion "Bürgeranwalt" sind zahlreiche Beschwerden über die behördlich angeordneten Isolierungen eingelangt. Ein typisches Zitat aus den Schreiben: "Ich kann die Logik in den gesetzten Maßnahmen nicht erkennen". Volksanwalt Bernhard Achitz und Clemens Martin Auer, der Sonderbeauftragte für Gesundheit im Gesundheitsministerium, diskutieren in der Bürgeranwalt-Sendung vom 9. Mai anhand von konkreten Fällen die Angemessenheit der behördlichen Verfügungen.

Dominik Noderer hat sich an die Volksanwaltschaft gewandt. Ihm war nach Kontakt mit einer Coronavirus-infizierten Person eine „Verkehrsbeschränkung“ auferlegt worden – obwohl er selbst nicht infiziert war. Das heißt: Kontaktverbot, Arbeitsverbot. Kurz darauf bekam er Krankheitssymptome – aber ihm wurde von der Behörde eine neuerliche Testung verweigert. Trotzdem erhält er am letzten Tag seiner „Verkehrsbeschränkung“ einen neuen Bescheid: Jetzt muss er komplett in Quarantäne. Er wird erst positiv, dann wieder negativ getestet, die Quarantäne bleibt aufrecht, auch als Noderer wieder gesund ist. „Da muss irgendwo was passiert sein“, ist sich Noderer sicher. Insgesamt war er viereinhalb Wochen eingeschränkt, davon zweieinhalb Wochen in Quarantäne.

Waren die Quarantäne-Maßnahmen überzogen oder gerechtfertigt?

Für Ministeriumsvertreter Auer ist „völlig nachvollziehbar“, dass bei Noderer genau hingeschaut wurde, weil er in einem Gesundheits- bzw. Pflegeberuf arbeitet. „Es handelt sich bei Quarantäne um eine freiheitsentziehende oder zumindest freiheitsbeschränkende Maßnahme, da muss man besonders vorsichtig sein“, sagte Volksanwalt Achitz: „Die Behörde hätte spätestens nach dem dritten Test, nach dem Noderer gesund war, die Quarantäne aufheben müssen.“

Behörde hebt Quarantänebescheid nicht auf, obwohl Patient gesund ist

Moritz Mark war tatsächlich an Covid-19 erkrankt und per Bescheid unter Quarantäne gestellt – nicht für zwei Wochen, sondern bis auf Widerruf. Als er wieder gesund war, wollte er, dass die Quarantäne wieder aufgehoben wird. Aber die Behörde war einfach nicht erreichbar: „Ich habe viele Stunden in Warteschleifen verbracht, aber es war mir nicht möglich, durchzudringen. Und der Magistrat hat sich auch nicht bei mir gemeldet und den Bescheid aufgehoben.“ Die Folge: drei Wochen in Absonderung, die nur beendet werden konnte, weil Marks Chefin zufällig über private Kontakte zu einer Amtsärztin verfügte. Bernhard Achitz: „Ein Fehler der Behörde, der sich nicht wiederholen sollte.“

Ist Einreise aus dem Ausland Grund genug für Quarantäne?

Aurelia Pertl sollte in Quarantäne, weil sie mit dem Flugzeug aus Frankreich eingereist war: „Ich sehe das als ungerechtfertigte Maßnahme an, weil der Verdachtsfall nicht bestand.“ Sonderbeauftragter Auer sagt aber, dass ganz Frankreich als Risikogebiet gegolten hatte: „Wer einreist, muss diese Selbstquarantäne unterschreiben. Die Verordnung ist eindeutig. Im Mittelpunkt steht der Schutz anderer Menschen, nicht das Individualinteresse.“ Mittlerweile kann man sich aber auch mit einem negativen Test die Quarantäne ersparen. „Ich kann die Kritik von Frau Pertl nachvollziehen“, sagte Volksanwalt Achitz. Er bemängelt, dass es keine Information über Alternativen zur Quarantäne oder über Berufungsmöglichkeiten gab.

"Risikogruppe" wurde extrem verunsichert

Seit Wochen wenden sich auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ein besonderes Risiko für einen schweren Covid-19-Krankheitsverlauf haben, an Volksanwaltschaft und "Bürgeranwalt"-Redaktion. Sie fordern besonderen Schutz. Typische Fragen: Wer bestimmt das? Welche Maßnahmen können wir erwarten? Warum dauert es so lange, bis es verbindliche Regeln gibt?

„Es hat eindeutig zu lang gedauert. Im März ist in Aussicht gestellt worden, dass man die Risikogruppen besonders schützt. Anfang April kam ein Gesetz, dann haben die Betroffenen auf die Verordnung gewartet, die regelt, ob sie zur Risikogruppe gehören. Aber die Verordnung ist gar nicht gekommen“, sagte Volksanwalt Achitz. Mittlerweile gibt es ein neues Gesetz, und erst Mitte Mai werden die Betroffenen schwarz auf weiß haben, dass sie zur Risikogruppe gehören. Achitz: „Die Menschen wurden extrem verunsichert.“ Völlig offen sei die Situation der Familienangehörigen von Risikogruppen – „dieses Problem muss an die Politik herangetragen werden.“