Sexuelle Sebstbestimmung von Menschen mit Behinderungen: Österreich erfüllt UN-BRK nicht

22. Februar 2024

Das Recht auf Selbstbestimmung ist einer der zentralen Grundsätze der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK). Österreich hat sich zur Umsetzung verpflichtet. Menschen mit Behinderungen müssen die Freiheit haben, eigene Entscheidungen zu treffen und ihr Leben möglichst selbstbestimmt zu gestalten. Sie sollen leben können, wie und mit wem sie wollen. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung ist ein Teil des Rechts auf ein selbstbestimmtes Leben und gilt selbstverständlich auch für Menschen mit Behinderungen, die in Einrichtungen leben.

Sexualität gehört zu den existentiellen Bedürfnissen und ist für Persönlichkeitsentwicklung, Gesundheit und Wohlbefinden von Bedeutung. Aus menschenrechtlicher Sicht ist das Thema „Sexualität von Menschen mit Behinderungen“ für die Volksanwaltschaft in verschiedener Hinsicht relevant. Einerseits umfasst die Prävention sexueller Gewalt bzw. Missbrauchs den Kern des Mandats zur Präventiven Menschenrechtskontrolle. Andererseits haben Menschen mit Behinderungen, so wie alle anderen, ein Recht auf Selbstbestimmung, Privatsphäre und sexuelle Gesundheit.

In einigen Einrichtungen mussten die Kommissionen der Volksanwaltschaft aber feststellen, dass Menschen mit körperlicher und/oder intellektueller Behinderung als geschlechtsneutrale Wesen betrachtet werden. Daher haben sich Volksanwaltschaft und ihre Kommissionen darauf geeinigt, die Selbstbestimmtheit und sexuelle Selbstbestimmung als Prüfschwerpunkt in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung festzulegen. Dafür wurden von April 2022 bis Juni 2023 161 Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderungen in ganz Österreich besucht.

Recht auf sexuelle Selbstbestimmung gilt auch in Einrichtungen

Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung ist ein Teil des Rechts auf ein selbstbestimmtes Leben und gilt selbstverständlich im Sinne des Normalitätsprinzips auch für Menschen mit Behinderungen, die in Einrichtungen leben. Sexualität umfasst das biologische Geschlecht, Geschlechtsidentitäten und Rollen, sexuelle Orientierung, Erotik, Lust, Intimität und Fortpflanzung.

Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung bedeutet, Rahmenbedingungen zu schaffen, die selbstbestimmte Sexualität von Menschen mit Behinderungen in Einrichtungen ermöglichen. Es beinhaltet aber auch den Schutz vor sexueller Gewalt und vor Missbrauch. Volksanwalt Bernhard Achitz: „Wir haben daher geprüft, ob die Rahmenbedingungen einerseits den Schutz vor sexueller Gewalt bestmöglich gewährleisten, und andererseits, ob sie selbstbestimmte, erfüllte Sexualität nicht verhindern.“

Große Fortschritte, aber noch viel zu tun

Isabella Scheiflinger, die Kärntner Anwältin für Menschen mit Behinderung: „Wesentlich ist, dass sich Einrichtungen, in denen Menschen mit Behinderung leben, ganz selbstverständlich und multidisziplinär mit dem Bedürfnis ihrer Bewohnerinnen und Bewohner nach Liebe, Zärtlichkeit und Sexualität aktiv auseinandersetzen.“ Scheiflinger spricht u.a. die Aufklärung der Bewohnerinnen und Bewohner, die Unterstützung der Bewohnerinnen und Bewohner in Beziehungskrisen, aber auch die Stärkung der Bewohnerinnen und Bewohner gegenüber den Angehörigen, oftmals den Eltern, an. „Für einzelne Eltern ist es nur schwer vorstellbar, dass ihre Kinder mit zum Teil hochgradigen Behinderungen ein Bedürfnis nach Sexualität haben“, berichtet Scheiflinger aus ihrer Tätigkeit als Kärntner Behindertenanwältin und plädiert dafür, auch im Bereich der Angehörigenarbeit entsprechend zu sensibilisieren.

In den vergangenen Jahren gab es große Fortschritte: Einige Teams fördern die sexuelle Selbstbestimmung. In manchen Einrichtungen eine offene Haltung zur Sexualität. Bewohnerinnen und Bewohner vielfältig und einfühlsam beraten und unterstützt, Partnerschaften sind möglich. Immer wieder bieten Einrichtungen auch Beratung und Begleitung zu Kontaktbörsen an. Aufklärung in Leicht Lesen und Unterstützte Kommunikation werden angeboten – aber noch viel zu selten. Achitz: „Das Ziel muss sein, dass 100 Prozent der Menschen in den Einrichtungen einbezogen werden.“