Psychiatrie: Mehr Personal als Schlüssel gegen Menschenrechtsverletzungen

30. Juni 2022

Seit 2012 ist die Volksanwaltschaft für die Präventive Menschenrechtskontrolle zuständig, nun haben ihre Kontrollkommissionen schwerpunktmäßig die psychiatrischen Krankenanstalten und Abteilungen in ganz Österreich geprüft. 2021 wurden dazu 50 Besuche durchgeführt. Die Auswertung wurde nun der Öffentlichkeit präsentiert.

„Auf den Prüfschwerpunkt Psychiatrie haben sich die Volksanwaltschaft und ihre Kommissionen geeinigt, weil dort das Aggressionspotential und die Gewaltgefahr hoch sind“, sagt Volksanwalt Bernhard Achitz: „Einerseits sind die Beschäftigten immer wieder mit gewalttätigen oder aggressiven Patientinnen und Patienten konfrontiert. Und andererseits müssen sie selbst Gewalt in Form von Zwangsmaßnahmen ausüben.“

Deeskalationsschulungen selten für alle Berufsgruppen verpflichtend

Das Ergebnis der Auswertung ist durchwachsen: „Immer mehr psychiatrische Einrichtungen setzen Deeskalationsschulungen ein. Allerdings in vielen Fällen nur für das Pflegepersonal, seltener auch für Ärztinnen und Ärzte verpflichtend, und noch weniger auch für das sonstige Personal“, fasst Achitz zusammen: „Um freiheitsbeschränkende Maßnahmen zu vermeiden, muss das gesamte Personal verpflichtend aus- und weitergebildet werden, zumindest aber Berufsgruppen mit Patientinnen- und Patientenkontakt.“

Verbesserungsbedarf sieht die Volksanwaltschaft auch bei Dokumentation und statistischer Auswertung: „Alle Fälle von Aggression müssen systematisch erfasst werden. Aus der statistischen Auswertung der Gewaltereignisse muss man dann die nötigen Schlüsse ziehen. Dass man die Ursache für Gewalt kennt, ist entscheidend für wirksame Präventionsarbeit.“ Karin Gutiérrez-Lobos, Leiterin einer der Kommissionen der Volksanwaltschaft und selbst Psychiaterin, zitiert dazu eine Studie, in der die Betroffenen angaben, „dass zur Prävention Rückzugsräume, Art der Kommunikation und Respektierung der Privat- und Intimsphäre besonders wichtig sind.“

Handlungsbedarf – Nur qualifiziertes Personal darf Fixierungen durchführen!

Die Sonderprüfung hat ergeben, dass freiheitsbeschränkende Maßnahmen wie Fixierungen in einem Viertel der Einrichtungen nicht ausschließlich durch qualifiziertes ärztliches und pflegerisches Personal durchgeführt werden. „Hier besteht enormer Handlungsbedarf, denn Fixierungen sind ein gravierender Einschnitt in die Menschenrechte, sie dürfen nur als allerletztes Mittel eingesetzt werden, um Gefahr für Leben oder Gesundheit abzuwenden“, sagt Achitz: „Sonst handelt es sich um Folter.“ Leider mussten die Kommissionen auch beobachten, dass Fixierungen in Anwesenheit anderer Patientinnen bzw. Patienten durchgeführt wurden, manchmal sogar am Gang.

Deeskalation ist eines der wichtigsten Handwerkszeuge der Psychiatrie

Bernhard Rappert ist Leiter des Fachbereichs Patientenanwaltschaft bei VertretungsNetz. Die Patientenanwältinnen und Patientenanwälte nach dem Unterbringungsgesetz sind täglich vor Ort auf den psychiatrischen Stationen im Einsatz. Sie nehmen Kontakt zu den untergebrachten Patientinnen und Patienten auf, beraten und vertreten sie und überprüfen, ob ihre Grundrechte verletzt werden. Deeskalation ist für ihn eines der wichtigsten Handwerkszeuge der Psychiatrie. „Um Gewaltsituationen präventiv zu vermeiden und wenn, dann professionell zu bearbeiten, sind Zeit und Raum nötig“. Eine moderne räumliche Gestaltung psychiatrischer Stationen, und ausreichend Zeit, um sich mit den betroffenen Personen auseinanderzusetzen „führen effektiv dazu, institutionellen Zwang zu reduzieren“.

Mehr Personal ist der Schlüssel gegen Menschenrechtsverletzungen

Und wie so oft, zeigt auch das Ergebnis des Psychiatrie-Schwerpunkts der Volksanwaltschaft: „Viele Probleme liegen am Personalmangel. Mehr Personal ist der Schlüssel, um Menschenrechtsverletzungen zu verhindern“, sagt Achitz. „Darüber hinaus braucht es den Ausbau von niederschwelligen Behandlungsangeboten wie etwa Krisendiensten, und aufsuchende ambulante Versorgung, um möglichst viele Situationen, die zu einer Unterbringung führen können, schon im Vorfeld zu vermeiden“, ergänzt Gutiérrez-Lobos.