Prüfschwerpunkt Schmerzmanagement und Palliativversorgung in Alten- und Pflegeheimen
80 Prozent der Menschen, die in Alten- und Pflegeheimen leben, leiden an Schmerzen. Viele von ihnen halten das für normal in ihrem Alter. Sie sagen nichts, und es wird nichts gegen die Schmerzen unternommen. Nicht oder nicht ausreichend bekämpfte Schmerzen haben aber drastische Auswirkungen: Die Lebensqualität sinkt, Depressionen, Angst und Schlafstörungen können die Folge sein. Die Schmerzen können chronisch werden.
„Schmerzen müssen sofort behandelt werden. Das ist nur möglich, wenn sie auch rechtzeitig erkannt werden“, sagt Volksanwalt Bernhard Achitz: „Bei älteren Menschen mit Demenz, kognitiven Beeinträchtigungen oder Kommunikationsschwierigkeiten ist das Risiko besonders hoch, dass Schmerzen übersehen werden. Wenn Menschen ihre Schmerzen nicht äußern können, kann das auch zu Gewalt führen.“
Schmerzen, die nicht erfasst werden, können auch nicht behandelt werden. Deshalb haben die Volksanwaltschaft und ihre Kommissionen (gemeinsam bilden sie den „Nationalen Präventionsmechanismus – NPM) bei ihren Kontrollbesuchen in den Alten- und Pflegeheimen einen Schwerpunkt auf das Schmerzmanagement gesetzt.
Ein weiteres Thema war Palliative Care. Sie soll Heimbewohnerinnen und Heimbewohner bis zuletzt Lebensqualität, ganzheitliche Schmerzerfassung und ein selbstbestimmtes, würdevolles Sterben ermöglichen. Die „Europäische Charta der Patientenrechte“ enthält das Recht auf Vermeidung unnötiger Leiden und Schmerzen und nennt als Beispiel den Zugang zu einer palliativen Behandlung.
Unterlassene Behandlung von Schmerzen verletzt auch die in der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) garantierten Rechte auf Gesundheit, auf körperliche und seelische Unversehrtheit und in gravierenden Fällen auch das Recht auf Schutz vor Gewalt und das Recht auf Schutz vor erniedrigender Behandlung.
Zur Schwerpunktprüfung besuchten die Kommissionen von Juli 2022 bis September 2023 insgesamt 123 Einrichtungen in allen Bundesländern. Sie haben mit 1.511 Bewohnerinnen und Bewohnern gesprochen bzw. deren Dokumentationen gesichtet.
Große Defizite beim Schmerzmanagement
In einem Viertel der besuchten Alten- und Pflegeheimen gab es keinerlei systematisches, dokumentiertes Schmerzmanagement, bzw. es wurden keinerlei Maßnahmen zu Erkennung, Prävention und Behandlung von Schmerzen angewendet. In jeder fünften Einrichtung wurden keine Schmerzeinschätzungsinstrumente verwendet, weder für Demenzkranke noch für kognitiv leistungsfähige Bewohnerinnen und Bewohner. Für das Personal gibt es viel zu wenig Fortbildung zum Thema Schmerz.
„Bei allen Bewohnerinnen und Bewohnern müssen Schmerzen systematisch und standardisiert erfasst werden“, fordert Achitz: „Vor allem bei der Betreuung von Menschen mit Demenz oder anderen kognitiven oder verbalen Einschränkungen ist ein standardisiertes Schmerzmanagement notwendig.“
„Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegekräfte übernehmen im Schmerzmanagement eine wichtige und zentrale Aufgabe“, sagt Esther Kirchberger, Pflegewissenschafterin und als Mitglied einer Kommission der Volksanwaltschaft selbst an der Schwerpunktprüfung beteiligt.
Das professionelle Schmerzmanagement wird von der diplomieren Gesundheits- und Krankenpflege umgesetzt und gesteuert. „Es handelt sich um eine Berufspflicht. Das Schmerzmanagement fällt in die pflegerische Kernkompetenz, die im Gesundheits- und Krankenpflegegesetz verankert ist.“
Positive Beispiele sind vor allem im Bereich alternativer Methoden zur Schmerzlinderung (Aromatherapie, Kälte- und Wärmebehandlungen, Gespräche, …) aufgefallen. Über solche komplementären Maßnahmen beraten und entscheiden diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegekräfte.
Für Akutsituationen stehen in vielen Einrichtungen jederzeit Schmerzmittel zur Verfügung. Die behandelnden Ärztinnen und Ärzte werden meistens über Veränderungen der Schmerzen oder Nebenwirkungen der Behandlungen informiert.
Ärztinnen und Ärzte müssen Schmerzmedikamente konkret und bezogen auf die jeweilige Schmerzsituation schriftlich anordnen. Pflegekräfte dürfen keine Wahlmöglichkeit haben. Kirchberger: „Es kommt aber immer wieder vor, dass mehrere Medikamente gegen Schmerzen angeordnet sind und die konkrete Schmerzsituation bzw. Indikation durch den Arzt nicht festgelegt wurde. Es gibt auch immer wieder Fälle, in denen der Arzt keine Priorisierung festlegt, welches von mehreren verordneten Medikamenten als erstes zur Anwendung gelangen soll.“
„Im besten Fall beinhaltet das Schmerzmanagement verschiedene Behandlungen und Verfahren, und es sollte an die Bedürfnisse und Lebensumstände der Bewohnerinnen und Bewohner angepasst werden, um deren Lebensqualität zu verbessern“, so Pflegewissenschafterin Kirchberger: „Aus- und Weiterbildungen zu Schmerzmanagement ist die Voraussetzung und muss in den Einrichtungen im Fortbildungsplan verankert sein, um neues Wissen zu generieren und dieses im Arbeitsalltag umzusetzen.“ Führungskräfte haben die Verantwortung, mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern transparent zu kommunizieren.
Palliative Care: Versorgung gut, mehr Vorsorgedialoge und Schulungen nötig
Die Schwerpunktprüfung der Kommissionen haben gezeigt, dass mehrheitlich keine Möglichkeit zum assistierten Suizid in den Einrichtungen besteht. Schon vor einigen Monaten hat ein Gutachten des Menschenrechtsbeirats der Volksanwaltschaft für Aufmerksamkeit gesorgt. Demnach müssen die Heimträger die im Sterbeverfügungsgesetz vorgesehene Möglichkeit des straflosen assistieren Suizids für schwerst- und unheilbar Kranke aus Respekt vor der freien Entscheidung der Bewohnerinnen und Bewohner akzeptieren. „Der assistierte Suizid muss aber der allerletzte Ausweg sein. Die Volksanwaltschaft fordert daher vor allem mehr Investitionen in die Hospize, denn das Recht auf würdevolles Sterben kann ohne flächendeckende Angebote der Beratung und Palliativversorgung nicht umgesetzt werden“, sagt Volksanwalt Achitz.
Im Palliativbereich hat die Schwerpunktprüfung eine gute Versorgung gezeigt. Die Gegebenheiten in der Sterbephase (Einbeziehung von Angehörigen, diverse Rituale), die Zusammenarbeit des eigenen Pflegepersonals mit externen, spezialisierten Hospizteams, aber auch mit anderen Berufsgruppen, oder die Ernährung am Lebensende wurden weit überwiegend positiv beurteilt. In beinahe allen Alten- und Pflegeheimen (94 %) war es Ziel der Einrichtung, dass die Bewohnerinnen und Bewohner in ihrer gewohnten Umgebung sterben können. Ausbaufähig ist vor allem die „Vorbereitung“ bzw. alles, was vor Eintritt der palliativen Phase passiert. Vorsorgedialoge müssen verstärkt geführt werden, und es braucht mehr Schulungen im Palliativbereich.
„Fortbildungen und Informationsveranstaltungen mit Expertinnen und Experten zum Sterbeverfügungsgesetz und zum assistierten Suizid sollten unbedingt weiterhin stattfinden, um Unsicherheiten und Unwissenheit des diplomierten Pflegepersonals zu bereinigen“, sagt Pflegewissenschafterin Kirchberger: „Träger sollten eigene Positionen zum Thema entwickeln und diese klar an ihr Personal kommunizieren.“
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Volksanwalt Bernhard Achitz und Pflegewissenschafterin Esther Kirchberger, Mitglied der Kommission 2, beim Pressegespräch.