Missbrauchsopfer zweiter Klasse?

20. April 2013

In den 1950er- und 1960er-Jahren litten Heimkinder in der staatlichen Erziehungsanstalt Linz-Wegscheid unter schweren körperlichen und seelischen Misshandlungen.  Sie mussten harte Arbeiten verrichten, wurden im Gegenzug aber nicht zur Sozialversicherung angemeldet. Dadurch fehlen den zahlreichen ehemaligen Heimzöglingen diese Versicherungszeiten für die Pension.

Die gegenständliche ORF-Sendung zeigte den Fall eines Betroffenen, der in der Zeit von 1969 bis 1970 für rund 18 Monate im Jugendwohnheim Linz-Wegscheid untergebracht war. Er beklagt, dass er seine bereits begonnene Lehre als Schlosser nicht in der gewünschten Qualität fortsetzen konnte, sondern für schwere Arbeiten im Akkord herangezogen und dafür nicht pensionsversichert wurde.

Nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz ist es möglich, verjährte Beiträge zur Pensionsversicherung nachzukaufen. Vom Land Oberösterreich als zuständiger Heimträger kam deshalb auch das Angebot, für die betroffenen ehemaligen Heimkinder diesen Nachkauf zu finanzieren. Möglich ist ein Nachkauf von Versicherungszeiten allerdings nur, wenn sich die jeweilige Person noch nicht in Pension befindet. Aus diesem Grund scheidet diese Möglichkeit für den Betroffenen aus, da er sich bereits seit rund sechs Jahren in Invaliditätspension befindet.

Zusätzlich betont der ehemalige Heimzögling, dass er durch die mangelnde Ausbildung in seinem beruflichen Fortkommen begrenzt gewesen sei. Das Land Oberösterreich entschuldigte sich 2011 offiziell bei den Missbrauchsopfern und zahlte Entschädigungssummen bis € 25.000 aus, abhängig vom Einzelfall und von den Empfehlungen der eingesetzten Opferschutz-Kommission.

Der Betroffene kritisiert, dass zwischen den Opfern eine „Zwei-Klassen-Gesellschaft“ entstehe.  Bereits pensionierte Opfer seien im Nachteil, da bei ihnen ein Nachkauf von Versicherungszeiten nicht mehr möglich ist. 

Auch die Volksanwaltschaft kritisiert diese Ungleichbehandlung der Opfer und fordert eine Änderung der geltenden Rechtslage. Möglich wäre dies durch eine pauschale Anerkennung der fehlenden Pensionsversicherungszeiten aller Heimkinder. „Eine andere Möglichkeit wäre, dass man ausrechnet, welche Ansprüche dem Betroffenen aus dieser 18-monatigen Beschäftigungszeit zukommen. Das Land Oberösterreich könnte von sich aus diesen Betrag an den Betroffenen ausbezahlen, doch dafür besteht keine Bereitschaft“, beanstandet Volksanwalt Dr. Peter Kostelka in der Sendung.

Eine Möglichkeit des Nachkaufes gibt es aber doch noch. Wenn Herr Saiko 65 ist und die Invaliditätspension in die Alterspension übergeht, können die Beträge nachentrichtet werden. Das wird allerdings erst 2018 sein.

 

Nachgefragt: Waisenpension für behinderte Menschen

Ein junger Vorarlberger mit einer minderen geistigen Behinderung absolviert im integrativen Ausbildungszentrum Vorarlberg eine Anlehre zum qualifizierten Helfer im Bereich Industrie- und Gewerbehelfer. Der Betroffene erhielt von der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) bis zu seinem 18. Geburtstag im September 2012 eine Halbwaisenpension. Danach lehnte die PVA eine Weitergewährung der Waisenpension ab.

Die PVA begründete ihre Ablehnung damit, dass beim Betroffenen keine Berufsausbildung im Sinne des Gesetzgebers vorliege, die einen Weiterbezug der Pension rechtfertigen würde. Denn die Ausbildung des Betroffenen bereite ihn nicht auf den allgemeinen Arbeitsmarkt, sondern auf einen geförderten Arbeitsplatz vor.

Die Mutter des Betroffenen wandte sich deshalb an einen Anwalt, der eine Klage beim Arbeitsgericht in Feldkirch einbrachte. Das Gericht entschied, dass es sich bei der Anlehre des Vorarlbergers um eine Berufsausbildung handelt. Durch das Urteil hat das Landesgericht Feldkirch bestätigt, dass die Voraussetzungen für den Weiterbezug der Waisenpension, zumindest bis zum Abschluss der Ausbildung, erfüllt sind.

Die PVA hat gegen das Urteil nicht berufen und wird dem Betroffenen die seit September fehlenden Beiträge nachträglich ausbezahlen. Bis zum Ausbildungsabschluss erhält der Vorarlberger nun weiterhin eine Waisenpension.

„Die PVA war in seiner Rechtauffassung extrem restriktiv. Das Gericht hat der Argumentation der Volksanwaltschaft Recht gegeben, dass nicht nur die Lehre, sondern auch die Anlehre als Berufsausbildung anzusehen ist“, betont Volksanwalt Dr. Kostelka. Dieses Urteil bildet nun eine Entscheidungsgrundlage für ähnlich gelagerte Fälle. In Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention sind die Behörden schließlich dazu verpflichtet, die Ausbildung von Menschen mit Behinderung zu fördern und diese Ausbildung auch anzuerkennen.