Kostelka: Kritik an Totenschein mit ungesicherter Diagnose

11. Juni 2012

Die Todesursachenstatistik ist Grundlage zur Ermittlung wichtiger Gesundheitsindikatoren. Durch diese Statistik ist eine fundierte Todesursachenforschung möglich. Sie untersucht die Einflussfaktoren der Gesundheitsindikatoren, die regionalen Besonderheiten der todesursachenspezifischen Sterblichkeit und ihre Veränderung im Laufe der Zeit. Aus den Ergebnissen werden Handlungsempfehlungen und Strategien abgeleitet, z.B. für die epidemiologische Forschung, den Bereich der Prävention und die Gesundheitspolitik. Im Kern geht es um die Frage, durch welche präventiven und medizinisch-kurativen Maßnahmen die Lebenserwartung und –qualität der Bevölkerung erhöht werden kann. Aussagekräftige und vergleichbare Daten sind dafür unerlässlich.

Umso fragwürdiger ist daher das Vorgehen einer niederösterreichischen Ärztin bei der Ausstellung des Totenscheins. Obwohl keine Obduktion stattgefunden hatte, und die Tochter des Toten bestreitet, mit der Ärztin überhaupt gesprochen zu haben, diagnostizierte diese „Kachexie durch Alkoholismus“ - nicht zuletzt weil Familienmitglieder ihr gegenüber eine diesbezügliche Bemerkung gemacht hätten.

Unter Kachexie oder Auszehrung versteht man einen krankhaften Gewichtsverlust. Sichtbar werdende Knochenkonturen, tiefliegende Augen und Hohlwangigkeit charakterisieren das äußere Erscheinungsbild dieser komplexen Erkrankung. Deren Ursachen sind vielfältig: zum Beispiel Essstörungen, chronische Herzinsuffizienz, Erkrankungen oder Störungen des Magen-Darm-Traktes, Stoffwechselerkrankungen oder eben Alkoholmissbrauch.

„Vermutungen oder Bezugnahmen auf Gerüchte reichen nicht aus, um eine nach bloßem Augenschein vorgenommene Feststellung der Todesursache auch tatsächlich wissenschaftlich begründen zu können“, betont Volksanwalt Kostelka. Seine Ansicht wurde durch die niederösterreichische Patientenanwaltschaft bestätigt, welche ebenfalls mit der Angelegenheit befasst wurde.

Eine Fehlattestierung verfälscht nicht nur die Todesstatistik, sondern verhindert auch die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche der Hinterbliebenen. So verweigerte die Versicherung Frau N.N. aufgrund der Eintragung am Totenschein die Übernahme der Begräbniskosten. Dies bleibt sanktionslos. Angehörige können zwar eine Obduktion verlangen, aufgrund der bereits stattgefundenen Feuerbestattung von Herrn N.N. konnte der Totenschein aber nicht mehr berichtigt werden.

Auch wenn Volksanwalt Kostelka der Betroffenen in diesem Fall nicht helfen konnte – ihr war nur daran gelegen, zu beweisen, dass ihr Vater kein Alkoholiker war – informierte die Volksanwaltschaft den niederösterreichischen Landtag in ihrem Prüfbericht über die Jahre 2010-2011 über diesen Fall. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Todesursachenstatistik weiterhin ein wertvolles Instrument bleibt, um die Lebenserwartung und –qualität der Bevölkerung kontinuierlich steigern zu können.