Kollegiale Missstandsfeststellung: Grundlegende Pflegestandards missachtet
Die Salzburger Heimaufsicht beschränkt sich auf Empfehlungen, statt einzuschreiten. Die Volksanwaltschaft sieht erhebliche Missstände in der Salzburger Pflegeheim-Aufsicht und fordert bundeseinheitliche Regelung von Minister Rauch.
Bei einer unangekündigten Kontrolle Ende April 2022 fand die zuständige Kommission der Volksanwaltschaft in einem Salzburger Pflegeheim überlastetes Personal und eine schmerzgeplagte Bewohnerin, die nur mehr 42,5 Kilo wog und bereits so wundgelegen war, dass durch die offene Wunde der Steißknochen frei zu sehen war und sich Fäulnisgeruch verbreitete. „Die Kommission sah darin bereits ‚gefährliche Pflege‘, sowohl anonyme als auch namentlich gezeichnete Beschwerden über dieses Heim gab es zuhauf – und trotzdem war das Vorgehen der Aufsichtsbehörde – freundlich gesagt – sehr zurückhaltend“, sagt Volksanwalt Achitz: „Verbindliche aufsichtsbehördliche Maßnahmen wurden nicht gesetzt.“
„Alarmiert durch die Volksanwaltschaft, fand nach dem Kommissionsbesuch erneut ein Besuch der Heimaufsicht statt, bei dem hauptsächlich kritisiert wurde, dass Wohnräume und Nasszellen nicht ordentlich geputzt worden seien“, begründet Volksanwalt Bernhard Achitz, warum das Kollegium der Volksanwaltschaft einstimmig eine Missstandsfeststellung beschlossen hat. „Aufsichtsbehörden müssen kontrollieren, ob die Pflege angemessen und menschenwürdig durchgeführt wird“, fordert Achitz. Auch Pflegeminister Johannes Rauch ist gefordert: „Um hochwertige Pflege sicherzustellen, braucht es bundeseinheitliche Regelungen für qualitative Mindeststandards sowie bundeseinheitliche Maßstäbe für die Aufsichts- und Kontrolltätigkeit der Länder.“
Obwohl der private Heimträger auf seiner Website mit dem Einsatz speziell ausgebildeter „Pain Nurses“ wirbt, wurde der Verband der genannten Bewohnerin durchgeführt, ohne sie zu fragen, ob sie ein Schmerzmedikament benötigen würde. Sie hat auch keines bekommen. Professionelle Pflegediagnosen und eine Evaluierung der Wirksamkeit fehlten auch bei anderen Bewohnerinnen und Bewohnern weitgehend, was die Kommission zur Feststellung veranlasste, dass inzwischen von „gefährlicher Pflege“ ausgegangen werden müsse.
Behörde gibt Empfehlungen, sagt aber gleich dazu, dass sie die Umsetzung nicht weiterverfolgt
Auch die Salzburger Landesregierung stellte bereits im Rahmen ihrer Aufsichtsbesuche im Jahr 2021 sowie 2022 Defizite im Bereich der Dokumentation und des Umgangs mit Schmerz- und Mangelernährung sowie mit Dekubitusgeschehen fest und erkannte Unzulänglichkeiten im Pflegeprozess. Die Aufsichtsorgane sprachen zwar Empfehlungen zur Qualitätsverbesserung aus, wiesen den Heimbetreiber aber explizit daraufhin, dass die Beseitigung ausschließlich in dessen Eigenverantwortung liege und die Umsetzung nicht weiter von der Aufsichtsbehörde verfolgt würde.
Es würde eine Kompetenzüberschreitung der Aufsichtsbehörde darstellen, verbindliche Vorgaben zur inhaltlichen Ausgestaltung der Pflege zu erteilen, teilte die Salzburger Landesregierung im Mai 2022 mit. Die Volksanwaltschaft sieht das anders, so Achitz: „Aufsichtsbehördliche Kontrollen müssen darauf abstellen, ob durch pflegerische Interventionen Selbstbestimmtheit, Lebensqualität und Gesundheit von Heimbewohnerinnen und Heimbewohnern erhalten, Krankheiten vermieden und vermeidbares Leiden durch eine professionelle Versorgung verringert werden.“
Situation verschlimmerte sich weiter
Im Juni 2022 erreichte ein anonymes Schreiben die Volksanwaltschaft, das offensichtlich von einem Teil des Heimpersonals stammte. Darin wurde berichtet, dass die (personelle) Situation seit dem letzten Kommissionsbesuch noch prekärer sei, sowohl im Nacht- als auch im Tagdienst regelmäßig Pflegepersonal fehle. Man sehe keine Möglichkeit mehr, die Bewohnerinnen und Bewohner adäquat zu versorgen. Eindringlich wurde um Unterstützung ersucht. Die Lebenslage von Pflegebedürftigen muss grundsätzlich als verletzlich angesehen werden und die Salzburger Landesregierung muss sich von der absurden Rechtsauffassung verabschieden, dass die Aufsichtsbehörde nur für die Kontrolle struktureller landesrechtlicher Minimalvorgaben zuständig ist und sich nicht zu kümmern braucht, ob Bewohnerinnen und Bewohner ihrem Gesundheitszustand entsprechend ausreichend Nahrung und Flüssigkeit verabreicht wird und wie mit gesundheitlichen Gefahren wie etwa Inkontinenz, Dekubitus, Schmerzen, Wunden und Stürzen umgegangen wird.
Aufsichtsbehörden müssen kontrollieren, ob Pflege angemessen und menschenwürdig durchgeführt wird
„Immer wenn der Staat die Erbringung gesundheitlicher und pflegerischer Leistungen Dritten überlässt, ist er auch verpflichtet, die Aktivitäten dieser Diensterbringer zu regulieren, um Verletzungen von Menschenrechten vorzubeugen. Vor allem wenn die Personalnot-bedingten Risiken für Leben und Gesundheit bereits erkennbar sind. Aufsichtsbehörden müssen kontrollieren, ob die Pflege angemessen und menschenwürdig durchgeführt wird“, fordert Achitz. Auch Pflegeminister Johannes Rauch ist gefordert: „Um hochwertige Pflege sicherzustellen, braucht es bundeseinheitliche Regelungen für qualitative Mindeststandards sowie bundeseinheitliche Maßstäbe für die Aufsichts- und Kontrolltätigkeit der Länder.“ Diese hat auch bereits der Rechnungshof eingemahnt.
Inzwischen wurden dem Heimträger von der Landesregierung zumindest Vorgaben gemacht, wonach angesichts der prekären Personalsituation bis Ende August 2022 etliche Bewohnerinnen und Bewohner in andere Einrichtungen verlegt werden müssen.