Volksanwalt Achitz: Recht auf selbstbestimmtes Wohnen statt Unterbringung im Heim

5. Mai 2025

„Inklusion bedeutet, dass Menschen mit Behinderungen die gleichen Chancen auf ein möglichst selbstbestimmtes Leben haben wie alle anderen Menschen auch. Dazu gehört, dass sie selbst entscheiden können, wie, wo und mit wem sie leben“, sagt Volksanwalt Bernhard Achitz anlässlich des Europäischen Protesttags zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (5. Mai): „Deshalb müssen Bund, Länder und Gemeinden für barrierefreie und gemeindenahe Wohnmöglichkeiten und für ambulante Unterstützungsleistungen sorgen. Derzeit sind noch viel zu viele Menschen mit Behinderungen gezwungen, in Heimen oder ähnlichen Einrichtungen zu leben.“ Eine umfassende De-Institutionalisierungsstrategie ist notwendig, um die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) zu erfüllen. Achitz: „Dazu hat sich Österreich verpflichtet, und das gilt natürlich auch für Länder und Gemeinden.“

Heime verkleinern ist zu wenig – persönliche Unterstützung notwendig

Der zuständige UN-Fachausschuss stellte klar, dass De-Institutionalisierung nicht einfach durch Verkleinerung bestehender Einrichtungen ersetzt werden kann. Vielmehr sind Sondereinrichtungen aufzulösen. Es braucht gesetzliche Neuregelungen, die auch Rechtsansprüche beinhalten“, fordert Achitz. Unter anderem ist dabei für ausreichende barrierefreie und gemeindenahe Wohnmöglichkeiten und die Abdeckung ambulanter Unterstützungsleistungen zu sorgen. Zielvorgaben, Fristen und Finanzierungsmodelle müssten festgelegt werden. Persönliche Assistenz ist bei der personenzentrierten Versorgung entscheidend. Achitz: „Und bitte nicht wieder neun verschiedene Regelungen, sondern ein einheitliches österreichweites Modell.“

Beispiele für fehlende De-Institutionalisierung

Die Volksanwaltschaft ist für die präventive Menschenrechtskontrolle in Einrichtungen zuständig, wo Menschen in Gefahr sind, in ihrer Freiheit eingeschränkt zu werden: Gefängnisse, Kinder- und Jugend-WGs, Psychiatrien, Alten- und Pflegeheimen, aber eben auch Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderungen. In letzteren stoßen die Kommissionen der Volksanwaltschaft immer wieder auf mangelnde De-Institutionalisierung:

  • Immer wieder treffen die Kommissionen auf junge Menschen mit Behinderungen oder chronischen psychiatrischen Erkrankungen, die gezwungen sind, in Altersheimen zu leben. Denn es gibt viel zu wenig passende Versorgungsstrukturen, wo sie selbstständig wohnen können. Vor allem Kinder und Jugendliche mit Behinderung oder psychischen Erkrankungen sollen nicht gemeinsam mit Erwachsenen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen betreut und untergebracht werden.
  • Eine Kommission besuchte eine Großeinrichtung in der Steiermark, die zwar schrittweise bemüht ist, genehmigte Plätze zu reduzieren. Dennoch würden laut Plan im Jahr 2045 im Haupthaus noch immer 144 der ursprünglich genehmigten 332 Plätze bestehen bleiben. „Die Reduktion dauert zu lang, und die Verkleinerung ist weit weg von einer UN-BRK-konformen De-Institutionalisierung“, so Achitz.
  • In einer Einrichtung für Jugendliche mit Behinderungen in Tirol kritisierte eine Kommission, dass sich sowohl die Schule als auch die Wohn- und Freizeitmöglichkeiten unter einem Dach befinden. Das erschwert die Teilhabe der Jugendlichen an der Gesellschaft.

Volksanwalt Achitz erinnert an die Leitlinien zur De-Institutionalisierung des UN-Fachausschusses, die die Pflicht zur Beendigung von Institutionalisierung betonen. Starrheit der Routine ungeachtet des persönlichen Willens, identische Aktivitäten am selben Ort für eine Gruppe unter einer bestimmten Autorität, ein paternalistischer Ansatz bei der Erbringung von Dienstleistungen, die Überwachung der Lebensumstände und die große Anzahl an Menschen in derselben Umgebung sind für den Fachausschuss eine Form von Gewalt. Achitz: „Ziel von De-Institutionalisierung ist, dass Menschen mit Behinderungen nicht abgeschottet und eingesperrt werden, sondern selbstbestimmt in der Gemeinde leben können.“

NGO-Forum am 19. Mai: „Human Rights First – trotz Sparpaket“

Die De-Institutionalisierung ist menschenrechtlich geboten und darf nicht am Finanziellen scheitern. Die Volksanwaltschaft diskutiert jedes Jahr ein gesellschaftspolitisch und menschenrechtlich relevantes Thema mit der Zivilgesellschaft. Das heurige NGO-Forum widmet sich am 19. Mai dem Thema „Human Rights First – trotz Sparpaket“. Trotz Budgetdefizit und Sparkurs dürfen die Förderung und Weiterentwicklung der Menschenrechte nicht an den Rand der politischen Agenda gedrängt werden. Wie das gelingen kann und worauf dabei der Fokus gelegt werden sollte – diesen Fragen möchten wir uns in Impulsvorträgen von Expertinnen und Experten sowie Diskussionsrunden mit Abgeordneten aller Parlamentsparteien annähern. Der Fokus liegt auf zwei konkreten menschenrechtlichen Themenbereichen: Die Rechte von Frauen und die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden über die im NGO-Sounding-Board der Volksanwaltschaft vertretenen Organisationen eingeladen. Medienvertreterinnen und Medienvertreter werden gesondert eingeladen.