Missstand: Diskriminierung junger psychisch Kranker in der Steiermark

10. Juli 2019

Herr N.N. ist erst 45 Jahre alt, lebt aber bereits seit sieben Jahren in einem Alten- und Pflegeheim. Er wurde aus der Psychiatrie in die Einrichtung entlassen. Die Zeit vergeht für ihn langsam, Herr N.N. kann in der Küche helfen oder sich im Bastelraum betätigen. Eine angemessene Unterbringung und umfassende Betreuung ist das aber nicht. Doch auch Perspektiven, das Altersheim zu verlassen und mit Unterstützung selbstständiger unter Gleichaltrigen leben zu können, gibt es derzeit nicht.

Psychisch kranke Menschen, manche erst zwischen 20 und 40 Jahre alt, die in einem Alten- und Pflegeheim oder einer Pflegeanstalt ihren Lebensmittelpunkt haben, sind in der Steiermark keine Seltenheit. Häufig landen Personen nach einer stationären Akutunterbringung in diesen Einrichtungen und bleiben dort, weil es dazu kaum Alternativen gibt. Die Volksanwaltschaft kritisiert dies bereits seit Jahren, auch der Rechnungshof hat das Thema in einem aktuellen Bericht aufgegriffen.

Volksanwalt Achitz: „Selbständig und unabhängig zu wohnen, hat für jeden Menschen einen hohen Stellenwert und trägt auch zur Stabilität psychisch erkrankter Personen bei. Je nach Unterstützungsbedarf müssen mehr Angebote vom vollbetreuten Wohnen bis hin zur stundenweisen Betreuung in der eigenen Wohnung geschaffen werden.“ Neben mehr therapeutischer Unterstützung, um besser mit Einschränkungen umgehen zu lernen und Krisen leichter bewältigen zu können, wären deshalb Hilfestellungen vor allem in den Bereichen Arbeit, Wohnen, Tagesstruktur und Freizeitgestaltung wichtig. So könnte man Selbstvertrauen und Selbstwert fördern.

„Pflegeanstalten und Pflegeheime sind nicht auf die Bedürfnisse von jüngeren Menschen mit chronisch psychischer Erkrankung ausgerichtet. Es gibt dort keine realistische Chance auf ein selbstbestimmtes Leben sowie berufliche Integration. Für viele Betroffene ist das die Endstation“, erklärt Achitz.

Das Kollegium der Volksanwaltschaft hat daher kürzlich einstimmig einen Missstand festgestellt. Die Versäumnisse sind groß: Geht man von Wohnplätzen im Sinne eines modernen sozialpsychiatrischen Grundgedankens aus, so stehen steiermarkweit 198 Wohnplätze zu Verfügung, bei einem Sollwert von 848 betreuten Wohnplätzen. Doch anstatt den Ausbau von Wohneinrichtungen für chronisch psychisch Kranke zu forcieren, hat das Land Steiermark den Psychiatriezuschlag erhöht, den private Pflegeheime und Krankenanstalten für die Betreuung erhalten.

Das ist der falsche Weg, betont Volksanwalt Achitz: „Gemeindenahe, bedarfsgerechte und dezentrale Wohnformen müssen rasch ausgebaut werden.“