Interview mit dem Kommissionsleiter Franjo Schruiff

24. März 2015

Rechtsanwalt Mag. Franjo Schruiff, LL.M., ist Leiter der für den Bereich Niederösterreich und Burgenland zuständigen Besuchskommission der Volksanwaltschaft.

Interviewer: Herr Schruiff, Wie spielt sich eigentlich die Vorbereitung zu einem Besuch, sagen wir eines Pflegeheimes,  konkret ab?

Franjo Schruiff: Zunächst ist zu unterscheiden, ob es sich um einen Erst- oder Folgebesuch handelt. In ersterem Fall sammeln wir im Vorfeld so viel Information wie möglich über die Einrichtung. Dies geschieht vorwiegend über das Internet, aber auch Informationen von Betroffenen und Angehörigen spielen eine Rolle. Manchmal gibt es ganz konkrete Hinweise auf Probleme, denen wir nachgehen wollen.

Bei einem Folgebesuch werden frühere Protokolle und die dazu seitens der Volksanwaltschaft getätigten Erhebungen abermals durchgearbeitet. Die Stellungnahmen der befassten Aufsichtsbehörden fließen ebenfalls in die Vorbereitung ein. Dabei achten wir auf festgestellte Defizite und Maßnahmen zur Behebung.

Wichtig ist die Zusammensetzung der Besuchsdelegation. Je nach dem geplanten Schwerpunkt des Besuches werden die Kommissionsmitglieder nach ihrer fachlichen Expertise ausgewählt. Die Kommissionen sind ja ganz bewusst multiprofessionell zusammengesetzt. Für das Pflegeheim würde ich daher eine Delegation mit juristisch/medizinischem oder juristisch/sozialarbeiterischem/pflegerischem Hintergrund auswählen.

Interviewer: Das bedeutet, Sie können also auf Fachwissen von Expertinnen und Experten zurückgreifen? Welche Sparten sind in Ihrer Kommission vertreten?

Franjo Schruiff: Meine Kommission besteht aus medizinischem und juristischem Personal, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern sowie einer Psychologin. Jede und jeder einzelne von ihnen verfügt zusätzlich zum jeweiligen Fachwissen über Spezialwissen, das für die Kommissionsarbeit unerlässlich ist. Unter anderem kann unsere Kommission Expertise in den Bereichen Folter, Trauma-Therapie, Forensische Psychiatrie, Integration, Heimaufenthaltsrecht, Menschen mit Behinderung und Mediation vorweisen.

Eine wichtige Rolle spielt die Mehrsprachigkeit: wir können neben Englisch und Französisch auch Türkisch, Kurdisch, Aserbaidschanisch, Persisch, Serbisch, Kroatisch, Bosnisch und Slowenisch alleine durch unsere Kommissionsmitglieder abdecken. Für andere Sprachen greifen wir auf externe Dolmetscherinnen und Dolmetscher zurück.

Interviewer: Ist seitens der durch den meist unangekündigten Besuch überraschten Leitung der Einrichtung  Unterstützung und Verständnis für die Aufgabe der Kommission festzustellen?

Franjo Schruiff: Die Antwort auf diese Frage muss im Wandel der Zeit gesehen werden. Die Reaktion seitens der Einrichtungen auf die unangekündigten Besuche der Kommission hat sich seit der Aufnahme unserer Arbeit unter dem neuen Mandat im Jahr 20121 zusehends verbessert. Zu Beginn unserer Besuchstätigkeit wurde uns gelegentlich Unverständnis entgegengebracht – wohl auch deswegen, weil die Einrichtungen die genaue Zuständigkeit der Kommission noch nicht kannten und auch nicht wussten, wie das Verhältnis zu anderen Kontrollbehörden ist. Das hat sich mittlerweile sehr geändert. Die meisten Einrichtungen kennen unsere Arbeit und tauschen auch untereinander die Erfahrungen mit der Volksanwaltschaft und den Kommissionen aus. Jetzt wird die unsere Kommission bei ihrer Prüftätigkeit meist sehr gut unterstützt.

Interviewer: Welchen Stellenwert haben vertrauliche Gespräche mit Bewohnerinnen und Bewohnern einer Einrichtung bei Ihren Recherchen?

Franjo Schruiff: Die Gespräche mit Bewohnerinnen und Bewohnern bilden einen zentralen Bestandteil unserer Besuche, da nur so die Erstellung eines ausgewogenen Protokolls gewährleistet werden kann. Ein wichtiges Prinzip ist es immer, Informationen abzugleichen und zu überprüfen. Ohne die Gespräche mit den Betroffenen kann es kein vollständiges Bild geben.

Interviewer: Werden erste Erkenntnisse unmittelbar nach dem Besuch mit der Leitung der Einrichtung besprochen und wie erlangt die Volksanwaltschaft Kenntnis über den Besuch?

Franjo Schruiff: Meist gibt es am Ende des Besuches ein kurzes Abschlussgespräch. Dabei geben wir erste Eindrücke wieder, die natürlich noch keine abschließende Bewertung darstellen. Hier können manchmal erste Fragen geklärt und gleich Verbesserungen vereinbart werden. Nach dem Besuch verfassen die beteiligten Kommissionsmitglieder ein Protokoll. Wir treffen Feststellungen über die vorgefundenen Gegebenheiten und bewerten diese im Lichte menschenrechtlicher Normen. Bestandteil des Protokolls ist auch eine Verschriftlichung des Abschlussgespräches, das wir an die Einrichtung schicken. Dabei handelt es sich noch immer um eine erste, vorläufige Rückmeldung seitens der Kommission, die noch keine Beurteilung seitens der Volksanwaltschaft enthält. Erst wenn das gesamte Protokoll aus Sicht der Kommissionsmitglieder fertiggestellt ist, unterziehe ich es noch einer letzten Überprüfung und leite es dann an die Volksanwaltschaft zur weiteren Bearbeitung weiter.

Interviewer: Sind aufgrund bestimmt oft sehr sensibler Einblicke in sehr persönliche Lebensumstände Datenschutz und Persönlichkeitsrechte gewährleistet?

Franjo Schruiff: Die Kommissionsmitglieder unterliegen in ihrer Tätigkeit natürlich der vollen Amtsverschwiegenheit und dem Datenschutz. Aber es geht nicht nur um eine gesetzliche Verpflichtung. Es geht auch um ein wesentliches Prinzip jedes menschenrechtlichen Monitorings: Informationen, die wir von Betroffenen bekommen, behandeln wir absolut vertraulich. Namen werden nur genannt, wenn die Betroffenen ausdrücklich damit einverstanden sind. Selbst wenn es manchmal für die Sache hilfreich wäre, einen Missstand mit einem konkreten Zeugen zu belegen – der Wunsch der Betroffenen, anonym zu bleiben, geht immer vor.

Interviewer: Wie viele Beobachtungen von sogenannten „Zwangsakten“ der Staatsgewalt führt Ihre Kommission jährlich durch, werden auch Abschiebungen kontrolliert?

Franjo Schruiff: Meine Kommission führt im Durchschnitt jährlich zehn bis fünfzehn Beobachtungen sogenannter Zwangsakte durch. Dabei handelt es sich um Einsätze der Polizei, beispielsweise bei Demonstrationen, Razzien im Straßenverkehr oder im Rotlichtmilieu. Abschiebungen werden ebenfalls begleitend beobachtet, meist in heiklen Fällen, wenn etwa kleine Kinder mit ihren Eltern abgeschoben werden oder die Behörden selbst von „Problemabschiebungen“ ausgehen. Wir können allerdings auch hier – im Sinne der Prävention – nur stichprobenartig tätig werden.

Interviewer: Wie erklärt sich eigentlich der scheinbare Widerspruch „präventive Kontrolle“?

Franjo Schruiff: Durch die ständige Kontrolltätigkeit der Kommission, vor allem durch die unangekündigten Besuche, müssen Einrichtungen, deren Bedienstete, aber auch die Polizistinnen und Polizisten oder Justizwachbeamtinnen  und -beamte immer damit rechnen, dass ihnen jemand über die Schulter schaut oder in ihre Unterlagen Einsicht nimmt. Das veranlasst natürlich alle Beteiligten, aber auch die Vorgesetzten und verantwortlichen Leiterinnen und Leiter von Einrichtungen, fortwährend auf gute Standards zu achten und Mängel frühzeitig zu beheben oder gar nicht erst aufkommen zu lassen. Und genau das ist ein wesentlicher Teil der Präventionsarbeit.

Interviewer: Vielen Dank! Und weiterhin viel Erfolg bei der verantwortungsvollen Aufgabe!

Franjo Schruiff: Vielen Dank für das Gespräch.

[1] Seit 2012 nimmt die Kommission ihre Aufgaben einerseits unter dem Fakultativprotokoll zum Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (OPCAT) und andererseits unter der UN-Behindertenrechtskonvention wahr und bildet gemeinsam mit der Volksanwaltschaft den sogenannten Nationalen Präventionsmechanismus zum Schutze der Menschenrechte.