Für mehr Selbstbestimmung und Autonomie
Die Stärkung der Selbstbestimmung und Autonomie ist erklärtes Ziel des mit 1. Juli 2018 in Kraft tretenden Erwachsenenschutzgesetzes. Die umfassende Reform des bislang geltenden Sachwalterrechts erweitert die Möglichkeiten zur autonomen Vorsorge und zur selbstbestimmten Entscheidung. Während Sachwalterschaften ausschließlich vom Gericht eingerichtet wurden, haben Betroffene zukünftig bezüglich bestimmter Vertretungsformen auch die Option der außergerichtlichen Errichtung und Registrierung.
Die Volksanwaltschaft ist seit dem 1. Juli 2012 das Menschenrechtshaus der Republik und als solches für den Schutz und die Förderung der Menschenrechte in Österreich zuständig. In ihrer Tätigkeit ist sie dabei immer wieder mit recht schmerzlichen Fragen rund um die Sachwalterschaft und die Einschränkung der persönlichen Rechte konfrontiert. Volksanwältin Gertrude Brinek engagiert sich seit beinahe 10 Jahren für bessere gesetzliche Rahmenbedingungen für Besachwaltete und hat im Laufe der Zeit zahllose Beschwerden zu dieser Thematik aufgenommen.
Steigende Beschwerdezahlen und ein sensibilisiertes Menschenrechtsbewusstsein haben schließlich zu einem politischen Umdenken geführt. „Die UN-Behindertenrechtekonvention (UN-BRK) verlangt die Stärkung von unterstützter Entscheidungsfindung. Selbstbestimmung und Autonomie sollen gefördert werden“, erklärt Landesvolksanwalt Florian Bachmayr-Heyda, Vorsitzender des Vorarlberger Monitoringausschusses (VMA). Der Weg zu einer Reform war vorgezeichnet. Von Anfang an stand der Gesetzgebungsprozess im Zeichen von Inklusion und Partizipation. Mitglieder der Anwaltschaft, Behinderteneinrichtungen, Vertreterinnen und Vertreter der Senioren und der Heime, Sachwaltervereine sowie die Volksanwaltschaft waren intensiv eingebunden. In dieser vorbildlich partizipativen Vorbereitungsphase wurde das neue Gesetz erarbeitet und schließlich im April 2017 in beiden Kammern des Parlaments einstimmig beschlossen. Es tritt am 1. Juli 2018 in Kraft. Nun sind auch die die Bundesländer gefordert Alternativen und neue Hilfsangebote zu schaffen.
Am 25. Mai hat in Bregenz eine öffentliche Sitzung des VMA zum Thema „Gesundheitsversorgung von Menschen mit Behinderungen“ stattgefunden. Im Rahmen dieser Veranstaltung wurde von den Betroffenen darauf hingewiesen, dass sie manchmal Hilfe brauchen, um selbst eine gute Entscheidung bezüglich ihrer medizinischen Heilbehandlung treffen zu können. „Das neue Gesetz sieht vor, dass Patienten mit Hilfe von Leichter Sprache selbst aufgeklärt werden und wenn notwendig hilft ein „Unterstützerkreis“ eine gute Entscheidung zu finden. Der VMA wird sich dafür einsetzten, dass solche Hilfen tatsächlich ausgebaut werden“, so Landesvolksanwalt Bachmayr-Heyda.
Vorsorgevollmacht als wichtiges Element der Selbstbestimmung
„Der vierstufige Bau des Erwachsenenschutz-Gesetzes soll den Erhalt der Selbstbestimmung möglichst lange sicherstellen. Der Verlust der Selbstbestimmung durch eine gerichtliche Erwachsenenvertretung soll erst als vierte Stufe, und nur wenn es unbedingt notwendig ist, eintreten. Zu Beginn des Stufensystems wird die Vorsorgevollmacht stehen, die hoffentlich möglichst viele Menschen abschließen und in der sie selbst regeln, wer die Vertretung für den Fall der Fälle übernehmen soll“, so Brinek weiter. In diesem Zusammenhang fordert die Volksanwältin einen leistbaren und möglichst nieder-schwelligen Zugang zur Vorsorgevollmacht. Brinek: „Dass jede und jeder weiß, wie sie am besten für eine mögliche Situation der Hilfsbedürftigkeit vorsorgen kann, liegt mir dabei besonders am Herzen. Um in Würde am Ende des Lebens ankommen zu können, sind Aufklärung und Information absolut notwendig.“
Die Sachwaltervereine bzw. Erwachsenenschutzvereine spielen bei der Verwirklichung der Ziele der Reform eine zentrale Rolle. In Vorarlberg kommt diese Aufgabe der ifs Sachwalterschaft zu, die mit 1. Juli 2018 in ifs Erwachsenenvertretung umbenannt wird. „Die Vereine werden zu einer Drehscheibe der Rechtsfürsorge ausgebaut und ihre Aufgaben durch das Erwachsenenschutzgesetz erheblich erweitert“, erklärt Günter Nägele, Leiter der ifs Erwachsenenvertretung. „Zudem ist zukünftig ein Clearing durch Erwachsenenschutzvereine sowohl im Verfahren über die erstmalige Bestellung eines ge-richtlichen Erwachsenenvertreters als auch im Erneuerungsverfahren verpflichtend.“
Neue Aufgaben für die ifs Erwachsenenvertretung
Des Weiteren kommt der ifs Erwachsenenvertretung zusätzlich zu ihren bisherigen Aufgaben auch die Funktion als „Registrierstelle“ zu: Betroffene und ihnen nahestehende Personen können sich dann – neben Notaren oder Rechtsanwälten – auch an die ifs Erwachsenenvertretung wenden, um eine offi-zielle Registrierung einer Vorsorgevollmacht, einer gewählten Erwachsenenvertretung oder einer ge-setzlichen Erwachsenenvertretung durchführen zu lassen.
Finanzierung und Qualität der Erwachsenenschutzvereine sicherstellen
„Jetzt müssen die Erwachsenenschutzvereine gestärkt und deren Finanzierung abgesichert werden, damit sie auf hohem Niveau arbeiten können. Ihnen muss die Politik den Rücken stärken, denn sie werden einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen des neuen Gesetzes leisten“, erklärt die Volksan-wältin. Um eine qualitätsvolle Wahrnehmung der Aufgaben eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters sicherzustellen, wird es von den Kammern überwachte Listen besonders geeigneter Notare oder Rechtsanwälte geben.
Mit dem derzeit zur Beratung vorliegenden Anpassungsgesetz zum Erwachsenenschutz werden noch weitere wichtige Präzisierungen vorgenommen. So soll beispielsweise die bis dato unklare Pflicht zur Rechnungslegung geregelt werden. Nächste Angehörige und Erwachsenenschutzvereine sollen in Zukunft explizit von einer laufenden Rechnungslegung befreit sein. Nur bei Vorliegen besonderer Gründe können sie vom Gericht dazu verpflichtet werden. Dadurch würde der Staat auf eine überschießende Kontrolle und ein Eingreifen in funktionierende Familiensysteme verzichten. Die Erwach-senenschutzvereine werden ohnehin vom zuständigen Ministerium (BMVRDJ) kontrolliert.