Erwachsenenschutz statt Sachwalterschaft
Ab 1. Juli 2018 wird das neue Erwachsenenschutz-Gesetz das Sachwalterrecht ablösen. Bisher wurden Sachwalter oftmals zu früh und zu umfassend eingesetzt. Dies führte teils zu völliger Rechtlosigkeit der besachwalteten Personen ohne Aussicht auf eine Wiederauflösung der Sachwalterschaft.
„Ich habe manchmal das Gefühl, dass der Begriff „Sachwalterschaft“ zu wörtlich genommen wird. Das Menschliche kommt zu kurz“ so eine Angehörige über die Besachwaltung ihrer Mutter. Die Frau wandte sich mit der Beschwerde an die Volksanwaltschaft, dass sie kaum Informationen über die Tätigkeiten des Sachwalters erhalte. Die Beschwerde ist leider kein Einzelfall: Bei der Volksanwaltschaft gehen viele ähnliche Vorwürfe ein. Immer wieder beklagen sich Angehörige über eine nicht ausreichende Versorgung und über starke finanzielle Einschränkungen sowie mangelnde Information durch den Sachwalter.
Steigende Beschwerde-Zahlen und ein sensibilisiertes (Menschenrechts-)Bewusstsein haben nun zu einem politischen Umdenken geführt und die Gesetzesreform maßgeblich mitangestoßen. Das Erwachsenenschutz-Gesetz soll mehr Selbstbestimmung und Selbstständigkeit für Betroffene sowie mehr Rechte für die Angehörigen bringen. Künftig müssen sich Vertreter von Rechtsberufen, die mehr als 15 Vertretungen übernehmen möchten, in eine Liste mit besonderen Qualitätsanforderungen eintragen lassen. Zudem wird alle drei Jahre überprüft, ob und in welchem Ausmaß die Vertretung noch notwendig ist.
Ein vierstufiges Modell soll es Betroffenen ermöglichen, so lange wie möglich ein Leben nach ihren eigenen Vorstellungen zu führen. Volksanwältin Dr. Gertrude Brinek: „Der vierstufige Bau des Erwachsenenschutz-Gesetzes soll den Erhalt der Selbstbestimmung möglichst lange sicherstellen. Der Verlust der Selbstbestimmung durch eine gerichtliche Erwachsenenvertretung soll erst als vierte Stufe, und nur wenn es unbedingt notwendig ist, eintreten. Zu Beginn des Stufensystems wird die Vorsorgevollmacht stehen, die hoffentlich möglichst viele Menschen abschließen und in der sie selbst regeln, wer die Vertretung für den Fall der Fälle übernehmen soll.“
Dr. Rupert Wolff, Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages, begrüßt vor allem das Ende der sogenannten Zwangs-Sachwalterschaft: „Wir hoffen, dass das neue Gesetz Verbesserungen für die Beeinträchtigten in unserer Bevölkerung bringen wird. Wir hoffen aber auch, dass es eine Entlastung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte bei der Übernahme von sogenannten Zwangs-Sachwalterschaften bringen wird.“ Bisher mussten Rechtsanwälte die Sachwalterschaft übernehmen, wenn die Gerichte keine anderen Personen für den Beeinträchtigten gefunden haben, auch wenn sie dies gar nicht wollten. „Was man zwangsweise tun muss, macht man nicht gerne“, so Wolff.
Auch Mag. Andreas Tschugguel, Sprecher der Notariatskammer, ist der Ansicht, dass das Erwachsenenschutz-Gesetz in die richtige Richtung geht: „Grundsätzlich begrüßen wir das Erwachsenenschutz-Gesetz sehr. Es wird sicherlich zu einer größeren Belastung der Justiz kommen, aber ich glaube, das ist eine höhere Belastung, die alle Beteiligten im Sinne eines „mehr“ an Selbstbestimmung auch auf sich nehmen müssen.“
„Wir müssen alle umdenken und uns mehr und besser auf die Bedürfnisse und Wünsche der Betroffenen einstellen Es wird künftig nicht mehr einfach ein Sachwalter bestellt, sondern man wird sich genau überlegen müssen welche konkrete Lösung für welches Bedürfnis, die passendste ist“, so Dr. Georg. Kathrein, Leiter der Sektion „Zivilrecht“ des Justizministeriums.
Publikation "Erwachsenenschutz statt Sachwalterschaft"
Die Publikation „Erwachsenenschutz statt Sachwalterschaft - Schritte zu einem selbstbestimmten Leben“ ist ein unentbehrliches Handbuch zum neuen Gesetz – für Akteure in allen beruflichen Feldern und Disziplinen, für Angehörige und Betroffene und alle, die mit der Schaffung einer verbesserten Lebenswelt zu tun haben. Ausgewiesene Expertinnen und Experten nehmen Stellung zum neuen Erwachsenenschutz-Gesetz, kommentieren und diskutieren Entwicklungen und Reformwege, um den Paradigmenwechsel zu interpretieren und insgesamt zum Gelingen der Umsetzung beizutragen. Sie liefern eine interdisziplinäre Perspektive auf ein gesellschaftlich komplexes Problem.
Gertrude Brinek (Hrsg.)
Erwachsenenschutz statt Sachwalterschaft
Schritte zu einem selbstbestimmten Leben
208 Seiten, Hardcover mit SU, zahlreiche Grafiken
Wien – Saarbrücken: Edition Ausblick 2017
EU 19,90
ISBN 978-3-903798-61-8