Bericht der Volksanwaltschaft im Wiener Landtag

24. November 2021

Heute diskutieren die Volksanwälte Rosenkranz, Amon und Achitz den Bericht der Volksanwaltschaft mit den Abgeordneten im Wiener Landtag. Der Bericht behandelt die Kontrolle der Verwaltung in Wien im Jahr 2020.

Die Volksanwaltschaft prüft, ob behördliche Entscheidungen den Gesetzen und dem Recht auf gute Verwaltung entsprechen. Über die Ergebnisse der Prüfverfahren informiert die Volksanwaltschaft nicht nur die Betroffenen, sondern berichtet darüber auch an den zuständigen Landtag. Der Bericht dient dazu, Schwachstellen und Fehlentwicklungen in der Verwaltung aufzuzeigen, aber auch auf Chancen zur Verbesserung hinzuweisen.

Insgesamt wandten sich im letzten Jahr 1.081 Wienerinnen und Wiener an die Volksanwaltschaft, weil sie sich von der Wiener Landes- und Gemeindeverwaltung nicht fair behandelt oder unzureichend informiert fühlten. In 240 Fällen stellte die Volksanwaltschaft einen Missstand in der Verwaltung fest, was einem Anteil von rund 22 % aller erledigten Verfahren entspricht.

Inhaltlich betrafen die meisten Beschwerden Fragen der Mindestsicherung und der Jugendwohlfahrt (320 Beschwerden, 30 %), gefolgt von Problemen in den Bereichen Staatsbürgerschaft, Wählerevidenz, Straßenpolizei (269 Beschwerden, rund 25 %). Fast ein Fünftel der Beschwerden betraf Gemeindeangelegenheiten (195 Beschwerden, 18 %), ge-folgt von Anliegen aus den Bereichen Raumordnung und Baurecht (74 Beschwerden, 7 %).

Die Volksanwälte diskutieren einzelne Beispiele aus dem aktuellen Bericht mit den Abgeordneten im Wiener Landtag, um Verbesserungsmöglichkeiten aufzuzeigen:

Kosten für Ganztagsbetreuung in Schulen

Die Mutter eines Volksschulkindes beschwerte sich bei der Volksanwaltschaft, weil sie für die Nachmittagsbetreuung in einer „offenen Schule“ um 1.500 Euro/Jahr mehr bezahlen musste als Eltern von Kindern in Schulen mit verschränktem Ganztagsunterricht. Der Magistrat argumentierte, dass bei verschränkten Ganztagesvolksschulen auch am Nachmittag Anwesenheitspflicht herrsche, während bei der offenen Schule die Anwesenheitspflicht nur halbtägig sei. Es sei deshalb bei der offenen Schule auch nur die Vormittagsbetreuung kostenlos. Beim verschränkten Ganztagsunterricht gäbe es bezüglich Nachmittagsbetreuung keine Wahlfreiheit, darum sei dieser ganztägig kostenlos. „Aus Sicht der Volksanwaltschaft besteht aber beim verschränkten Ganztagsunterricht ebenso eine Wahlfreiheit, da es zu dieser Schulform auch Alternativen gäbe“, erklärt der zuständige Volksanwalt Walter Rosenkranz. Die Volksanwaltschaft regte an, die Differenzierung zu beenden und auch bei alternativen Schulformen zum verschränkten Ganztagsunterricht eine kostenlose Nachmittagsbetreuung anzubieten.

Ungenaue Definition von Anrainerparkplätzen

Die Bezirksvorsteher des 1. und 8. Bezirks beschwerten sich bei der Volksanwaltschaft, nachdem in ihren Bezirken neben Anrainerinnen und Anrainern tagsüber auch ansässige Gewerbetreibende die Parkplätze nützen dürfen sollten. Da sie sich weigerten neue Zusatztafeln in den Anrainerparkzonen anbringen zu lassen, entsprachen die Verkehrszeichen aber nicht mehr dem Text der Verordnung. Die Volksanwaltschaft kam zum Ergebnis, dass die Verordnung auch ohne Verkehrszeichen rechtlich gültig war: Die Verkehrszeichen dienten nur der zusätzlichen Information, sie waren aber zu ungenau formuliert. Auf Zusatzschildern wurde lediglich auf die Verordnung im Kundmachungsblatt hingewiesen („Laut Amtsblatt Wien 41/2018“). Der Verordnungstext bezog sich indessen auf Hausnummern. „Bei einem Lokalaugenschein der Volksanwaltschaft stellte sich allerdings heraus, dass bei ausgesuchten Adressen mit Anrainerparkplätzen mehr Parkplätze vorhanden waren als im Verordnungstext angegeben“, so Volksanwalt Rosenkranz, „Es war daher nicht eindeutig, wo genau sich an den Adressen die Anrainerparkplätze befanden, da nicht das jeweilige Verkehrsschild vor Ort, sondern allein der Verordnungstext gilt.“ Die MA 46 definierte die Anrainerparkplätze aufgrund der Kritik der Volksanwaltschaft schließlich genauer durch Meterangaben.

Säumnis im Beseitigungsverfahren

Nachbarn beschwerten sich bei der Volksanwaltschaft, dass die Baubehörde nicht gegen die konsenslos errichtete Holzsauna und das Jacuzzi auf der Dachterrasse des angrenzenden Wohnhauses einschreite. Sie hätten der MA 37 die Aufbauten im Jahr 2017 mehrmals angezeigt. Ihr Rechtsvertreter habe die MA 37 im Juni 2019 aufgefordert, den gesetzwidrigen Zustand zu beseitigen. Die Behörde habe bloß mitgeteilt, Nachbarn wegen der fehlenden Parteistellung im Auftragsverfahren keine Auskunft geben zu können. „Weshalb die Behörde mit Erhebungen bis zum Jänner 2018 zuwartete und erst im März 2018 einen Beseitigungsauftrag erteilte, ist nicht nachvollziehbar“, so Volksanwalt Amon. Nach der Wiener Bauordnung ist ein vorschriftswidriges Bauwerk, für das eine nachträgliche Bewilligung nicht erwirkt oder eine Bauanzeige nicht rechtswirksam erstattet wurde, zu beseitigen. Der Beseitigungsauftrag wurde im April 2018 rechtskräftig. „Die MA 37 hätte zeitnah eine Erhebung durchführen und die MA 25 um Vollstreckung ersuchen müssen“, erklärt Volksanwalt Amon. Obwohl seit Dezember 2018 feststand, dass der Beseitigungsauftrag nicht erfüllt wurde, ersuchte die MA 37 die MA 25 erst im Februar 2020 um dessen Vollstreckung. Nachbarinnen und Nachbarn haben im baupolizeilichen Auftragsverfahren nach der Wiener Bauordnung und damit auch im Vollstreckungsverfahren nach dem VVG zwar keine Parteistellung, die Behörde ist aber dazu verpflichtet, solche Aufträge von Amts wegen zu vollstrecken.

Keine Brandgefahr beim Abstellen eines Rollstuhls im Stiegenhaus

Eine seit 20 Jahren gehbehinderte Mieterin eines Wiener Gemeindebaus wandte sich an die Volksanwaltschaft. Wiener Wohnen hatte sie aufgefordert, ihren elektrischen Rollstuhl aus dem Gang des Hauses zu entfernen. Anfang 2020 wurde Frau M. informiert, dass der Rollstuhl jederzeit entrümpelt werden könne. Sie bemühte sich um eine Lösung und suchte um eine Stellplatzgenehmigung an. Diese wurde ihr verweigert, dafür fand sie eine Entrümpelungs-aufforderung vor. Mit Hilfe des Behindertenanwalts konnte Frau M. die Entrümpelung vorerst stoppen. Allerdings blieb die Hausverwaltung bei ihrem Standpunkt: Der Rollstuhl müsse weg, da von ihm eine Brandgefahr ausginge. Das Angebot von Frau M. eine Brandschutzdecke über den Rollstuhl zu legen, lehnte man ab. Stattdessen bot Wiener Wohnen die Errichtung einer Abstell-Box an. Allerdings wäre diese weder versichert noch isoliert, was für den Akku des Rollstuhls nicht zuträglich ist. Zudem blieb unklar, wo diese Box stehen soll und wie Frau M. den Weg dorthin bewältigen könne. Wiener Wohnen schlug auch einen Umzug in eine barrierefreie Wohnung vor. Diese Lösung ist für die Pensionistin schwer zu bewerkstelligen. Neben der emotionalen Ebene sind es vor allem die Kosten, die Frau M. abschrecken. Eine barrierefreie Wohnung wäre wesentlich teurer. Zudem gäbe es noch gar kein konkretes Angebot.

„Die Gesamtsituation bringt klar zum Ausdruck, dass Frau M. auf den Rollstuhl angewiesen und eine Einzelfallprüfung erforderlich ist. Hier wäre Wiener Wohnen aufgefordert, sich genau mit der Frage auseinanderzusetzen“, so Volksanwalt Amon. Kurz vor Weihnachten 2020 überprüfte ein Gutachter die Gegebenheiten im Stiegenhaus und befand, dass vom Rollstuhl keine Gefahr ausgehe. Volksanwalt Amon betonte, dass es nun auch seitens Wiener Wohnen nur noch eine Formsache sein könne die Angelegenheit zu einem positiven Abschluss zu bringen. Tatsächlich teilte Wiener Wohnen mit, dass Frau M. den E-Rollstuhl am gewünschten Ort abstellen und dort einen Stromanschluss herstellen lassen könne. „Durch die Bemühungen der Volksanwaltschaft konnte wieder einmal ein Fall positiv gelöst werden“, zeigt sich Volksanwalt Amon erfreut.

Mindestsicherung/Sozialhilfe: Existenzsicherung dringend notwendig

Wien ist neben dem Burgenland das letzte Bundesland, das seine Regelungen für die Mindestsicherung/Sozialhilfe noch nicht an die entsprechenden Vorgaben des Bundes angepasst hat. Die Volksanwaltschaft kritisierte das mehrfach, weil es zu Rechtsunsicherheit für die Betroffenen führt. Achitz weist allerdings darauf hin, dass sich die Kritik der Volksanwaltschaft keinesfalls gegen die Höhe oder die Beziehenden der Wiener Mindestsicherung richtet. Erfahrungen aus anderen Bundesländern zeigen, dass die dort durchgeführten Kürzungen der Mindestsicherung erhebliche Probleme mit sich gebracht haben. Volksanwalt Bernhard Achitz: „Eine Mindestsicherung in existenzsichernder Höhe wird wegen der sozialen Nachwirkungen der Corona-Krise dringend gebraucht. Dafür ist eine politische Einigung auf Bundesebene nötig, die Rechtssicherheit für Betroffene herstellt und Armut verhindert.“

Steinhof-Heimopfer-Entschädigungen werden hoffentlich bald ausbezahlt

Im Pavillon 15 des Psychiatrischen Krankenhauses am Steinhof wurden viele Jahrzehnte lang, bis in die 1980er Jahre, Kinder und Jugendliche seelisch und körperlich gequält. Im Jahr 2010 begannen Länder und Heimträger, an Betroffene von Gewalt in Heimen und bei Pflegefamilien Entschädigungen auszuzahlen und die Kosten für eine Psychotherapie zu übernehmen. Auch Wien schuf ein solches Entschädigungsprojekt, das jedoch 2016 wieder eingestellt wurde. Wien ist das einzige Bundesland, in dem es derzeit keine Anlaufstelle für ehemalige Heimkinder gibt, und in dem Betroffene keinen unbürokratischen und niederschwelligen Zugang zu Therapien haben.

Mittlerweile verpflichtete sich der Wiener Gesundheitsverbund (Wigev), Rechtsnachfolger der früheren Steinhof-Betreiber, in einer Vereinbarung mit der Volksanwaltschaft, wieder Entschädigungszahlungen aufzunehmen. „Einige Anspruchsberechtigte haben sich bereits bei der Volksanwaltschaft gemeldet. Die Entschädigungen werden jetzt hoffentlich rasch ausbezahlt“, sagt Volksanwalt Bernhard Achitz. Er fordert, dass das Entschädigungsprojekt auch für andere Einrichtungen im Wiener Einfluss wieder geöffnet wird, unter anderem für Gewaltopfer im Kinderheim Wilhelminenberg, im Erziehungsheim Hohe Warte, im Durchzugsheim Im Wird und in der Kinderübernahmestelle (Julius-Tandler-Heim).

Taubblinde Frau kann doch in der eigenen Wohnung leben

Eine taubblinde Frau, die zuvor alleine in ihrer Wohnung gelebt hatte, musste nach einem längeren Krankenhausaufenthalt in ein Pflegeheim übersiedeln. Dort beherrschte allerdings niemand das Lorm-Alphabet. Lormen ist die gängige Kommunikationsform für taubblinde Menschen. Die Frau wandte sich an die Volksanwaltschaft. Eine Arbeitsgruppe unter Behindertenanwalt Hansjörg Hofer organisierte schließlich eine Betreuungsorganisation, die Lormen-Kommunikation anbot. Der Fonds Soziales Wien (FSW) übernahm die Förderung der Kosten, und so konnte die Frau wieder in ihre eigene Wohnung ziehen. Volksanwalt Achitz: „Ein wichtiger Schritt zu einem selbstbestimmteren Leben. Darauf haben Menschen mit Behinderungen ein Recht.“

Details können dem aktuellen Bericht entnommen werden.