Feldarbeit statt Therapie

6. Juli 2017

Ein Artikel von Andrea Vyslozil.

Kärnten schiebt psychisch Kranke auf entlegene Bauernhöfe ab. Manche arbeiten dort für ein Taschengeld, kaum einer erhält die nötige Betreuung. Der Volksanwaltschaft reicht es nun.

Es ist ein düsteres Bild, das die Expertenkommissionen der Volksanwaltschaft in ihren Protokollen zeichnen. 762 chronisch psychisch Kranke leben in Kärnten in sogenannten „Zentren für psychosoziale Rehabilitation“ (ZPSR). Unter Umständen, die laut Volksanwaltschaft gegen Menschenrechte verstoßen. Demnach gibt es Bewohner, die seit 30 Jahren isoliert auf entlegenen Bauernhöfen untergebracht sind. Echte Rehabilitation findet nicht statt. Oft sind einfache Hilfsarbeiten der einzige Zeitvertreib: Sie putzen, arbeiten in der Küche, im Garten oder Stall. Voll Stolz hätten Bewohner der Kommission erzählt, welche landwirtschaftlichen Geräte sie bedienen. Im Gegenzug bekommen sie vom Bauern ein geringes Taschengeld.

„Völlig intransparent“
„Die Entlohnung der Tätigkeiten ist oft nicht einmal dokumentiert und völlig intransparent“, kritisiert Volksanwalt Günther Kräuter. Auch gibt es keine Heimverträge zwischen den Bewohnern und der Betreuungseinrichtung. Dass sich die prekäre Situation in Zukunft bessert, ist unwahrscheinlich. Denn das Hauptaugenmerk der ZPSR liege, so die Volksanwaltschaft, rein auf „pflegerischen Aspekten“. Bemühungen, Betroffene auf einen selbstständigen Alltag vorzubereiten, sodass sie die ländlichen Einrichtungen irgendwann verlassen und zum Beispiel in betreute WG übersiedeln können, gebe es überhaupt nicht.

Auch in anderen, größeren Zentren gehe es nicht besser zu. Berichtet wird von Fällen psychisch Kranker, die dauerhaft medikamentös ruhig gestellt werden anstatt eine adäquate Psychotherapie zu erhalten. Das Personal verfüge über keine psychiatrische Ausbildung und sei überfordert.

Seit Jahren bekannt
Nun reicht es der Volksanwaltschaft. Jahrelang hat sie die Kärntner Landesregierung auf die Probleme hingewiesen – ohne Erfolg. Jetzt greift sie zum schärfsten Instrument, das ihr zur Verfügung steht. Vor wenigen Tagen beschloss die Volksanwaltschaft eine „kollegiale Missstandsfeststellung“. Der Menschenrechtsbeirat, dem Vertreter von Organisationen wie Amnesty International und Caritas ebenso angehören wie solche des Bundeskanzleramts und zahlreicher Ministerien, hat das Vorgehen abgesegnet. In dem Papier, das News vorliegt, formulieren die drei Volksanwälte fünf Empfehlungen, um die Unterbringung der Kranken auf einen menschenrechtskonformen Stand zu bringen. Die Kärntner Landesregierung muss die Empfehlungen binnen acht Wochen umsetzen oder schriftlich erklären, warum sie es nicht tut.

Stein des Anstoßes ist ausgerechnet das sogenannte „Chancengleichheitsgesetz“, das es seit 2010 in Kärnten gibt. Dieses soll eigentlich die Rechte von Menschen mit Behinderung schützen. Brisant: Bewohner von ZPSR sind von den Leistungen des Gesetzes ausdrücklich ausgenommen. Das hat einen angenehmen Nebeneffekt für die Kärntner Politik: Sie erspart sich viel Geld. Die Tagsätze, die sie für ZPRS-Bewohner bezahlt, liegen unter jenen, die das Chancengleichheitsgesetz vorsehen würde. Offenbar endet die Chancengleichheit in Kärnten dort, wo es ums Geld geht.

Zuständig ist Soziallandesrätin Beate Prettner von der SPÖ. In einer früheren Stellungnahme an die Volksanwaltschaft betonte das Land, den Wunsch nach mehr Fachpersonal zu teilen, „doch würde dies die bestehende Unterbringungsform so verteuern, dass mit dem derzeit vom Land Kärnten zur Verfügung stehenden Tagsatz nicht das Auslangen gefunden werden könnte.“ Die Landesregierung schätzte zuletzt, dass die sofortige Umsetzung der von der Volksanwaltschaft geforderten Maßnahmen etwa 14 Millionen Euro kosten würden.

Kein Budget für Kranke
Für Volksanwalt Kräuter sind die finanziellen Vorwände keine Entschuldigung. Dass versucht werde, „Menschenrechte mit budgetären Argumenten wegzudiskutieren“, sei keinesfalls akzeptabel. Über konkrete Mehrkosten könne er keine Schätzung abgeben, so Kräuter. „Wir gehen davon aus, dass jeder zweite Betroffene zwar in der Einrichtung bleiben kann, wo er aktuell ist, die Betreuung aber qualitativ stark verbessert werden muss.“ Der Tagsatz müsste von derzeit 70 auf 140 Euro angehoben werden um professionelle Psychotherapeuten, mobile Ergotherapeuten und Psychologen zu den Zentren zu bringen. Die andere Hälft der Bewohner sollten für eine bessere Betreuung in kleinere Wohngemeinschaften umziehen.

Aus dem Büro von Landesrätin Prettner verweist man auf News-Anfrage auf einen neu beschlossenen Psychiatrieplan, der einen eigenen Psychiatrie-Koordinator vorsieht. Die Landesregierung wolle nötige Maßnahmen „etappenweise umsetzen“ und die „psychosoziale Landschaft“ neu ordnen. Weiters heißt es: „Es werden individuelle Pläne erstellt, die den Betroffenen in inklusionsbezogenen Verfahren eine Rückkehr in ihre gewohnte Lebensstruktur bzw. in ihr gewohntes Lebensumfeld ermöglichen sollen.“ Drei der 31 ZPSR sollen 2018 in die Behindertenhilfe übergeführt werden.

Die Volksanwälte fordern in der kollegialen Missstandsfeststellung unter anderem einen klaren Zeit- und Finanzierungsplan und dass die Bedürfnisse der Betroffenen in das Chancengleichheitsgesetz aufgenommen werden. Außerdem solle es eine unabhängige Landesmonitoringstelle geben, die auch erfasst, wie viele ZPRS-Betreute tatsächlich zu einem eigenständigen Leben befähigt werden. In einem Etappenplan 2015 bis 2020 hatte das Land zuletzt selbst eingestanden, dass der Begriff „Zentren für Psychosoziale Rehabilitation“ mangels Rehabilitation „irreführend“ ist.