Volksanwaltschaft zum Menschenrechtsschutz in Tirol

15. Juni 2018

Anlässlich der Diskussion des aktuellen Berichts der Volksanwaltschaft zur Präventiven Menschenrechtskontrolle im Ausschuss für Rechts-, Gemeinde- und Raumordnungsangelegenheiten des Tiroler Landtages präsentierten Volksanwalt Günther Kräuter und Kommissionsleiterin Verena Murschetz den Medien die wichtigsten Herausforderungen zum Schutz der Menschenrechte in Tirol.

Verfassungsrechtlich zuständig für den Schutz und die Förderung der Menschenrechte

Sechs Expertenkommissionen der Volksanwaltschaft (VA) besuchen seit 2012 im Rahmen eines UN-Mandats Einrichtungen, in denen es zu Freiheitsentzug kommt oder kommen kann – darunter Alten- und Pflegeheime, Justizanstalten, Psychiatrische Krankenhäuser, Polizeieinrichtungen, Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sowie Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen. Ziel ist es, Risikofaktoren für Menschenrechtsverletzungen rechtzeitig zu erkennen und präventiv zu vermeiden.

Im Jahr 2017 kontrollierten die Kommissionen österreichweit 451 Einrichtungen, 57 davon in Tirol, darunter Alten- und Pflegeheime (14), Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen (10), Einrichtungen der Jugendwohlfahrt (13), Justizanstalt (3), ein Polizeianhaltezentrum und Polizeiinspektionen (10).

Die multiprofessionell zusammengesetzten Kommissionen der Volksanwaltschaft können Dokumentationen einsehen und vertrauliche Gespräche mit Bewohnerinnen und Bewohnern führen. Die Besuche erfolgen meist unangekündigt.

Ausgewählte Problembereiche

Menschen mit Behinderungen: Lohn statt Taschengeld

Rund 23.000 Menschen in Österreich sind in einer Tagesstruktur oder Werkstätte beschäftigt. Dort erhalten sie, oft völlig unabhängig vom Umfang ihrer Arbeitsleistungen, lediglich ein Taschengeld von durchschnittlich 65 Euro pro Monat. Diese Beschäftigungen werden rechtlich nicht als Arbeitsverhältnis gesehen. Die Beschäftigten sind nur unfall-, aber nicht kranken- oder pensionsversichert. Volksanwalt Günther Kräuter: „Dies widerspricht der UN-Behindertenrechtskonvention. Die Volksanwaltschaft, Behindertenanwaltschaften und Zivilgesellschaft fordern eine Angleichung an reguläre Arbeitsverhältnisse.“

Kritik an „Polypharmazie“ in Alten und Pflegeheimen

Bei Besuchen in Alten- und Pflegeheimen stellen die Kommissionen der Volksanwaltschaft immer wieder fest, dass ältere Menschen häufig mit zahlreichen Medikamenten behandelt werden. „Mit der Anzahl der eingenommenen Medikamente steigt jedoch auch die Zahl der unerwünschten Wechselwirkungen und Nebenwirkungen. Die Folgen können unter anderem Verwirrtheit, Depressionen, Stürze, Parkinson und Bewegungsstörungen sein. Oft wird dies als altersbedingtes Symptom fehlinterpretiert, woraufhin wiederum Medikamente verabreicht werden“, erklärt Kommissionsleiterin Verena Murschetz. In 60 % der österreichweit besuchten Einrichtungen kritisierten die Kommissionen die Medikamentenvergabe als bedenklich.

In einer Tiroler Einrichtung stellte die Kommission etwa bei fast allen Pflegebedürftigen eine auffallend hohe Zahl verordneter Dauermedikamente (13 bis 16) und zusätzlich Einzelfallmedikationen fest. Die Kommission kritisierte auch Verordnungen von Psychopharmaka an Personen, für die im Pflegeheim keine psychiatrischen Diagnosen vorlagen, sondern bloß Indikationen wie: „Schluckauf“, „bei Übelkeit/Atemnot“, „vor dem Duschen“, bei „Unruhe“.

Empfehlungen der Volksanwaltschaft:

  • Multidisziplinäre Zusammenarbeit von Ärztinnen und Ärzten, Pflegepersonal und Apothekerinnen und Apothekern, Patientinnen und Patienten sowie Angehörigen stärken.
  • Vor Verschreibung einer Medikation muss Aufklärung über Art, Umfang, Dauer und Folgen stattfinden.
  • Behandlung mit Psychopharmaka nur, wenn nicht-medikamentöse pflegerische Behand-lungen erfolglos waren.
  • Die Notwendigkeit der Medikamentenvergabe muss regelmäßig überprüft werden.
  • Regelmäßige Ausschleich- und Absetzversuche.

Als Reaktion auf den Parlamentsbericht 2016 der Volksanwaltschaft setzte das Land Tirol eine Experten-Kommission ein, die Handlungsempfehlungen und ein „Maßnahmenpaket zur Weiterentwicklung der Pflege“ vorlegte. Konkrete Ergebnisse sind jedoch noch ausständig – insbesondere die angekündigte Novelle des Tiroler Heimgesetzes mit verbindlichen Personalvorgaben und die Neu-organisation der Aufsicht.

Fehlendes Diplompersonal während der Nachtdienste, fehlende Rufbereitschaft, Bedarfsmedikation durch Pflegeassistentinnen und -assistenten

Immer wieder stellt die Kommission fest, dass es zur Verabreichung von Bedarfsmedikation ohne Entscheidungsfindung durch das diplomierte Pflegepersonal kommt. Da Pflegeassistentinnen und -assistenten nur unter Aufsicht von Diplompersonal tätig werden dürfen, ist die Entscheidungskompetenz, ob die vom Arzt bestimmte Indikation für die Einzelfallmedikation (Bedarfsmedikation) vorliegt, nicht an Pflegeassistentinnen und -assistenten delegierbar. Nicht nur bei Nachtdiensten ohne Diplompersonal kommt es zu vom Gesundheits- und Krankenpflegegesetz (GuKG) nicht gedeckten Tätigkeiten von Pflegeassistentinnen und -assistenten.

Positive Tendenzen in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe

Die Volksanwaltschaft veröffentlichte kürzlich einen Sonderbericht zum Thema „Kinder und ihre Rechte in öffentlichen Einrichtungen“. Bezüglich der Anzahl der Kinder, die fremduntergebracht sind, d. h. in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe oder einer Pflegefamilie leben, ist Tirol positiv zu erwähnen. In keinem anderen Bundesland sind weniger Kinder fremduntergebracht. Zum Vergleich: In Tirol sind 0,65 % der Kinder fremduntergebracht, in Wien sind es 1,06 %.

Die Volksanwaltschaft hat in den letzten Jahren allen Bundesländern ausdrücklich empfohlen, sexualpädagogische Konzepte als zwingende Bewilligungsvoraussetzung für Einrichtungen vorzuschreiben. In Wien ist das bereits der Fall. Tirol und NÖ reagierten nun auf diese Forderung und schreiben bei jeder neuen Wohngruppe entsprechende Konzepte vor. In bestehenden Einrichtungen wird die Umsetzung eines sexualpädagogischen Konzepts innerhalb einer bestimmten Frist verlangt.

Negativ fällt allerdings auf, dass es in Tirol besonders wenige Krisenplätze und sozialtherapeutischen Betreuungsplätze gibt, letztere bestehen zudem nur für Jugendliche. Ebenso kritisch sieht die Kommission, dass es in Tirol kaum barrierefreie Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe gibt.