Volksanwaltschaft präsentiert Wien Bericht 2017

11. Juni 2018

Zahlen, Daten, Fakten: Beschwerdeaufkommen in Wien erneut gestiegen

Im Berichtszeitraum 2017 wandten sich insgesamt 1.319 Wienerinnen und Wiener mit einer Beschwerde an die Volksanwaltschaft. Sie fühlten sich von der Wiener Landes- oder Gemeindeverwaltung nicht fair behandelt oder unzureichend informiert. Gegenüber dem Vorjahr hat sich die Anzahl der Beschwerden somit um 8,4 % erhöht, seitdem Jahr 2000 hat sich das Beschwerdeaufkommen mehr als verdreifacht (412).

In 242 Fällen stellte die Volksanwaltschaft einen Missstand in der Verwaltung fest. Keinen Anlass für eine Beanstandung sah die Volksanwaltschaft bei 582 Beschwerden, in 513 Fällen war sie nicht zuständig. Inhaltlich bezogen sich die meisten Beschwerden in Wien auf die Bereiche Mindestsicherung und Jugendwohlfahrt (413), Staatsbürgerschaften, Wählerevidenz und Straßenpolizei (275) sowie Gemeindeangelegenheiten (242), Raumordnung und Baurecht (114).

Überblick über die Kontrollbesuche zum präventiven Schutz der Menschenrechte


In Wien führten die Experten-Kommissionen der Volksanwaltschaft im Berichtszeitraum insgesamt 126 Kontrollbesuche in Einrichtungen durch und beobachteten 23 Polizeieinsätze.

 

Aus den drei Geschäftsbereichen der Volksanwaltschaft

Beim Wiener Heumarkt gehen die Wogen nach wie vor hoch

Einer der bewegendsten Fälle des Jahres 2017 war das Projekt zum Wiener Heumarkt. Die Neufestsetzung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplans durch die Stadt Wien erhitzte und erhitzt nach wie vor die Gemüter der Wienerinnen und Wiener. Im Rahmen ihrer Prüfung stellte die Volksanwaltschaft mehrere Missstände in der Verwaltung der Stadt Wien fest.

Mit der Ermöglichung einer Errichtung eines 66 Meter hohen Wohnturms im Herzen Wiens verstößt die Stadt Wien gegen die UN-Welterbekonvention und nahm damit in Kauf, dass das historische Stadtzentrum auf die Liste gefährdeter Welterbestätten gesetzt wird. Auch wenn die Wiener Landesgesetzgebung keine verpflichtende Umsetzung der Welterbekonvention in der Bauordnung vorsieht und die Umwidmung daher nicht gesetzeswidrig ist, stellt die Missachtung der von der Republik Österreich eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtung einen Missstand in der Verwaltung dar.

Ebenso wenig konnte die Stadt Wien nachvollziehbar darstellen, wieso sie von ihren eigenen Planungskonzepten abwich und worin der im aktuellen „Fachkonzept Hochhäuser“ geforderte „außerordentliche Mehrwert für die Allgemeinheit“ des geplanten Wohnturmes besteht.

Als kritikwürdig erachtet Volksanwältin Brinek insbesondere den Umstand, dass der Änderung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplans jahrelange Verhandlungen auf Basis von Plänen privater Investoren vorausgingen. Die Änderung der Flächenwidmung sollte der Bauprojektplanung immer vorangehen.

„Ich möchte nochmals betonen, dass es bei Bauprojekten ganz wesentlich auf die richtige Reihenfolge ankommt. Die Gleichbehandlung aller Projektwerber kann nur gewährleistet werden, wenn Raumordnungspläne vor etwaigen Bauprojekten festgelegt werden und nicht umgekehrt. Außerdem hat bei jeder raumplanerischen Änderung das öffentliche Interesse vor dem privaten Einzelner zu stehen. Dieses öffentliche Interesse muss für die Allgemeinheit auch klar erkennbar sein“, begründet Volksanwältin Gertrude Brinek erneut ihre Position.

Hinterfragung politischer Interessen – der Hörndlwald-Fall

Durch Medienberichte wurde die Volksanwaltschaft im Jahr 2016 auf ein Projekt im Hörndlwald aufmerksam und leitete ein amtswegiges Prüfverfahren ein. Im 13. Wiener Gemeindebezirk plante ein Trägerverein die Errichtung einer Sonderkrankenanstalt (Reha-Zentrum) zur Behandlung von Burn-Out-Erkrankungen auf dem Areal des 2013 abgerissenen Josef-Afritsch-Heims und schloss hierfür bereits 2014 einen Baurechtsvertrag mit der Stadt Wien ab. Schon im Jahr 2009 sagte der damalige Stadtrat – für den Fall des Abrisses des Heims – den Bezirksräten aller Parteien nach deren einstimmigem Antrag den Erhalt des Naherholungsgebietes zu. Trotz dieser Zusicherung fiel die Standortwahl auf das brachliegende Baugelände in der Nähe des Hörndlwalds (Lainzer Tiergarten). Dieser ist als Naherholungsgebiet beliebt und gilt zudem als Landschaftsschutzgebiet. Um das Naturdenkmal mit streng geschützten Tier- und Pflanzenarten zu bewahren, bildete sich eine Bürgerinitiative.

Volksanwalt Peter Fichtenbauer ließ sich laufend über die geplanten Verfahrensschritte informieren. Die Wahl des Standortes rechtfertigte die MA 22 mit einer vorangegangenen Prüfung diverser anderer Standorte. Nur beim Hörndlwald gebe es ein baureifes Grundstück mit geeigneter Flächenwidmung, so die Stadt Wien. Volksanwalt Fichtenbauer hielt die Auswahl des Standortes für mehr als problematisch.

Anfang 2017 wurde bekannt, dass die Stadt Wien ihr eigenes Projekt auf dem Areal des Krankenhauses am Rosenhügel einstellte. Aus Kostengründen lehnte die Stadt Wien aber die Verlegung des Standortes des Reha-Zentrums vom Hörndlwald auf den Rosenhügel ab. Der Trägerverein hatte das Projekt wegen der langen Verfahrensdauer inzwischen ohnehin auf Eis gelegt. Schließlich stellte sich garheraus, dass der Trägerverein die Bewilligung für das Projekt im Landschaftsschutzgebiet allein auf Vorschlag der Stadt Wien beantragt hatte.

„Dieser Fall zeigt einmal mehr, dass Bürgerinitiativen politische Entscheidungen grundsätzlich hinterfragen, und das hat absolut seine Berechtigung. Hätte die Stadt Wien, damals den bevorzugten Standort am Rosenhügel genehmigt, wäre die geplante Sonderkrankenanstalt möglicherweise schon heute in Betrieb“, so Fichtenbauer.

Volksanwalt Günther Kräuter pocht auf Nichtraucher-Schutz

Jedes Jahr sterben in Österreich 13.000 Menschen an den Folgen des Tabakrauchs, zudem sind 1.000 Todesfälle auf das Passivrauchen zurückzuführen. Volksanwalt Günther Kräuter: „Die Aufhebung des im Jahr 2015 bereits beschlossenen, generellen Rauchverbots in der Gastronomie ist aus gesundheitspolitischer Sicht eine eklatante Fehlentwicklung.“ Raucherfreundliche Signale aus der Politik würden den Schutz von Nichtrauchern künftig wesentlich erschweren. Die Volksanwaltschaft erhält nach wie vor Beschwerden, dass das geltende Nichtraucherschutz-Gesetz in der Gastronomie oft nicht eingehalten werde und keine entsprechende Kontrolle und Sanktion durch die Behörden erfolge.

So gestattete etwa der Betreiber einer Bar in Wien das Rauchen in der gesamten Bar, da er nebenan auch ein Restaurant betreibe. Die Stadt Wien sah darin keinen Verstoß gegen das Tabakgesetz. Aus Sicht der Volksanwaltschaft stellt die Vorgehensweise der Behörde jedoch einen Missstand dar. Da es sich um zwei verschiedene Gastronomiebetriebe handelt, müssen sowohl Bar als auch Restaurant jeweils einen gesonderten Nichtraucher-Bereich aufweisen.

Einen Missstand stellte die VA auch in den Spitälern des Wiener Krankenanstaltenverbundes (KAV) fest, da dort Patientinnen und Patienten, insbesondere in den Eingangsbereichen, nicht ausreichend geschützt wurden. So wurde etwa bei einer Rettungszufahrt im Wiener AKH offenbar regelmäßig geraucht. Beim Krankenhaus Hietzing war im Bereich des Eingangs zur Notaufnahme ein Standaschenbecher aufgestellt – nur um zwei Beispiele zu nennen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Patientinnen und Patienten waren dadurch in Einrichtungen, die eigentlich der Gesundheitsförderung dienen, immer wieder ungewollt dem schädlichen Tabakrauch ausgesetzt. Nach Intervention der Volksanwaltschaft kündigte der KAV nun umfassende Maßnahmen und verstärkte Kontrollen des Rauchverbots an.

Die VA erachtet einen umfassenden Nichtraucherinnen- und Nichtraucherschutz in Krankenanstalten für essentiell, gerade auch aufgrund der Vorbildwirkung, die dem Gesundheitswesen zukommt. Kräuter: „Unsere Expertenkommissionen werden bei ihren Besuchen in Krankenhäusern, Pflegeheimen und anderen Einrichtungen künftig verstärkt auf den Nichtraucherschutz achten.“

Die gesamte Presseunterlage mit weiteren Missstandsfällen auf Ebene der Wiener Landes- und Gemeindeverwaltung sowie den 39. Wien-Bericht der Volksanwaltschaft finden Sie im Download-Bereich.