Kaserne oder Wohnheim für Menschen mit Behinderung?

24. März 2015

Die Beobachtungen der Kommission

Eine abseits am Waldrand gelegene Einrichtung bestehend aus mehreren Gebäuden bietet 48 Frauen mit Behinderung ein Zuhause. Das Wohnheim ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur nach langem Fußmarsch erreichbar. Besuch kommt nicht oft. Das Betreuerteam ist vorwiegend weiblich und lässt sich mit "Erzieherin" und "Erzieher" ansprechen. Die Bewohnerinnen sind teils über 30 Jahre alt und werden als "Mädchen" bezeichnet.

Deren Tagesablauf ist straff organisiert. Um 6:00 Uhr morgens werden alle geweckt. Während der Morgenwäsche sind die Zimmer zu lüften und danach aufzuräumen. Vor dem Frühstück um 7:00 Uhr gehen alle „eine Runde ums Haus“. Danach geht es an die Arbeit: Nur vier der 48 Bewohnerinnen verlassen dazu das Haus. Alle anderen werden in zwei Gruppen eingeteilt. Alle 14 Tage erfolgt ein Wechsel zwischen der sogenannten „Hausgruppe“, die kocht, putzt, wäscht und bügelt und der sogenannten „Kreativgruppe“, in der Handarbeiten, Werken, Sport, Tanzen oder Theater am Programm stehen. Von 10:00 bis 10:15 Uhr gibt es eine Pause zum Essen und Trinken.

Von 12:00 bis 12:30 Uhr gibt es Mittagessen. Bis 13:00 Uhr ist dann Pause, in welcher "die Mädchen frei herumspringen dürfen". Danach geht es wieder zurück in die Gruppen und der Nachmittag gestaltet sich wie der Vormittag. Die Haustüre wird zugesperrt, sobald es finster wird. Um 17:00 Uhr gibt es Abendessen, danach wird der Speisesaal aufgeräumt. Um 18:00 Uhr beginnt die Abendpflege, um 19:30 Uhr treffen sich alle Bewohnerinnen in der Nachtwäsche zur Medikamenteneinnahme vor dem Arztzimmer.

Vor 20:15 Uhr trifft man sich in drei Gemeinschaftsräumen zum Fernsehen. Zwei als "Einzelgängerinnen" bezeichnete Frauen gehen lieber ins Zimmer und hören Musik. Laut Hausordnung sind Fernseher in den Zimmern verboten. In den Zimmern sind auch  Essen, Süßigkeiten und Handys verboten. Es ist nicht erlaubt, die Zimmer abzusperren und selbst das Licht auszuschalten.

Wer von Wochenendbesuchen bei den Eltern zurückkehrt, muss vor den Erzieherinnen die Taschen auspacken. Wer telefonieren möchte, muss fragen und kann das vom Haustelefon aus tun oder bekommt das eigene Handy zweimal pro Woche zu bestimmten Zeiten ausgehändigt.

Die Volksanwaltschaft stellt fest

Menschen mit Behinderung haben ein Recht auf Wahrung ihrer Würde, Identität und Autonomie, einschließlich der Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen. Wohnen hat eine zentrale Bedeutung für Wohlbefinden und Lebensqualität. Menschen mit Behinderung haben ein Recht darauf, zu wohnen wo und mit wem sie wollen. Das Leben in Einrichtungen kann eine akzeptable Wohnform sein, wenn es Alternativen dazu gibt und Wahlfreiheit besteht.

Das Leben in der Gemeinschaft mit anderen erfordert das Einlassen auf Regeln, die von allen Beteiligten gestaltet und damit auch gemeinsam geändert werden können. Zur Verletzung von Menschenrechten kommt es, wenn institutioneller Zwang und Fremdbestimmung den Alltag bestimmen, Vorlieben, Talente und Bedürfnisse missachtet und Mitsprache- oder Beschwerderechte gar nicht erst eingeräumt werden. Eingriffe in das Recht auf persönliche Freiheit, wie etwa bei der Beschränkung der Handynutzung sind gleichfalls nicht akzeptabel.

 

Die Volksanwaltschaft hat die zuständige Landesregierung als Aufsichtsbehörde aufgefordert, zu den festgestellten Defiziten Stellung zu beziehen und im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention gemeinsam mit den Verantwortlichen des Wohnheimes einen Reformprozess einzuleiten. Wir werden weiter darüber berichten.