Ein Leben voller Hürden - Barrierefreiheit ist noch lange nicht erreicht

13. September 2018

Für 1,3 Mio. Menschen mit Behinderungen (15 % der österr. Bevölkerung) bleibt der Weg zu Selbstbestimmung und Inklusion ein weiter, wie das Beschwerdeaufkommen bei Volksanwaltschaft und Behindertenanwalt zeigt: „Wir sind mit der Entwicklung nicht zufrieden“, sagt Volksanwältin Gertrude Brinek, „Wirklich barrierefrei sind nach wie vor noch viele Bauten in Österreich nicht. Denn das würde bedeuten, dass Gebäude aber auch Verkehrsmittel für Menschen mit Behinderungen grundsätzlich ohne jegliche fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind. Dabei hätte Barrierefreiheit viele Vorteile – auch für Eltern mit Kinderwägen sowie ältere Menschen mit Gehhilfen, Rollatoren und Rollstühlen.“

Barrierefrei Wohnen

„Barrierefreiheit ist ein Schlüssel, um Menschen mit Behinderung Mobilität und Teilhabe zu ermöglichen. Doch gerade wenn es um Wohnraum geht, stehen sie oft ohne Schlüssel vor der eigenen Wohnungstüre“, resümiert Behindertenanwalt Dr. Hansjörg Hofer die zahlreichen Anfragen an ihn.

So wandte sich ein Klient an die Behindertenanwaltschaft: Mit dem Rollstuhl war die Stufe vor der Eingangstür zu seiner Mietwohnung nur sehr schwer zu überwinden. Selbständig konnte er das Gebäude nicht verlassen. Erst nach vier Jahren und einer Intervention der Behindertenanwaltschaft sicherte der Vermieter nun die Errichtung einer festen Rampe zu.

Aber nicht immer haben Menschen mit Behinderung die Möglichkeit, Wohnraum barrierefrei zu gestalten. „Zu unterscheiden ist, ob es sich bei der Wohnungsnutzung um Eigentum oder um ein Mietverhältnis handelt“, fasst Hofer die rechtliche Lage zusammen. „Maßnahmen zur Barrierefreiheit an allgemeinen Teilen der Liegenschaft, beispielsweise der Einbau eines Liftes, benötigen die Zustimmung der Eigentümergemeinschaft. Auch wenn es sich dabei um eine Aufwertung der Liegenschaft handelt, kann die Verweigerung der Zustimmung rechtlich nicht als verbotene Diskriminierung beurteilt werden.“

Barrierefrei in öffentlichen Gebäuden

Mit zahlreichen neuen Beschwerdefällen ist auch die Volksanwaltschaft konfrontiert. Neben den eigenen vier Wänden, betreffen sie den Zugang zu öffentlichen Gebäuden, Kirchen, Museen und Freizeiteinrichtungen aber auch öffentlichen Verkehrsmitteln. Beispielsweise wurde vor kurzem ein Gemeindezentrum generalsaniert. Auf einen barrierefreien Zugang über den Haupteingang hatte man „vergessen“. Gehbehinderte Personen könnten zwar über eine Rampe und den Eingang der Polizeidienststelle in das Gemeindezentrum gelangen, doch eine automatische Türöffnung fehlt und die Polizeidienststelle ist nur gelegentlich besetzt. Als „Notlösung“ wurde von der Gemeinde schließlich eine Funkglocke beim Zweiteingang installiert, damit die Türe auch von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Gemeinde geöffnet werden kann. „Nicht alles was gut gemeint ist, ist auch gut gemacht“, so Brinek. Denn diese Lösung entspricht nicht dem gesetzlichen Recht auf einen selbstbestimmten Zugang.

Barrierefrei unterwegs

Ohne fremde Hilfe ist es Menschen im Rollstuhl in Wien unmöglich in die älteren Garnituren der U-Bahn, die sogenannten „Silberpfeile“, einzusteigen. Diese bieten keine Überbrückungen für den Spalt zwischen U-Bahn und Bahnsteig. Die moderneren V-Wägen sind ebenfalls nur bedingt barrierefrei: ausschließlich der erste und der letzte Wagen des Zuges sind mit Rampen ausgestattet. Darüber hinaus können sich Betroffene im Internet auch nicht informieren, wann welcher Wagen kommt.

Besonders wichtig wäre es, endlich die Betroffenen selbst einzubinden und ihr Know-How abzuholen. „Nach wie vor denken Menschen ohne Behinderung für jene mit Behinderung. Vor allem bei neuen Projekten würden wir uns eine Peer-to-peer-Abklärung vor der tatsächlichen Umsetzung wünschen“, sagt Brinek.

Eine Frage der Kosten – eine Frage der Standards?

„Argumentiert wird meist mit fehlenden wirtschaftlichen Mitteln. Gute Lösungen scheitern aber auch an Ignoranz, an Gedanken- und Phantasielosigkeit und gutem Willen“, so die Volksanwältin. Barrierefreiheit müsste nicht mehr kosten. Würde sie von Projekt-Planungsbeginn an mitgedacht, ließe sie sich relativ kostengünstig herstellen. Schwieriger wird es bei bestehenden oder gar denkmalgeschützten Gebäuden, wie der Wotruba Kirche in Wien-Mauer. Erst nach Einschaltung des Bundesverwaltungsgerichts ist ein barrierefreier Zugang zur Kirche in Sicht. Ein neuer Lift und eine Verbindungsstiege zwischen Eingang und Kirchenebene sollen in Zukunft für Barrierefreiheit sorgen.

Aus menschenrechtlicher Sicht muss aber auch für denkmalgeschützte Gebäude eine Lösung gefunden werden. Wenn zwar ein Zugang über Nebeneingänge besteht, bei deren Benutzung man aber auf fremde Hilfe angewiesen ist oder sich vorher telefonisch ankündigen muss, kann nicht von einem barrierefreien Zugang im Sinne des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz gesprochen werden. "Denkmalschutz darf nicht als Ausrede fungieren", argumentiert Brinek.

Barrierefreiheit ist notwendig und Barrierefreiheit ist möglich.

Gemeinsam mit Behindertenanwalt Dr. Hofer setzt sich Volksanwältin Brinek für den Ausbau des Diskriminierungsschutzes von Menschen mit Behinderung ein: "Wir fordern eine rasche Umsetzung der gesetzlich bereits längst geltenden Barrierefreiheit und appellieren an die Politik endlich die Verantwortung dafür zu übernehmen." Hofer abschließend: „Menschen wegen ihrer Behinderung den Zugang zur eigenen Wohnung zu verunmöglichen, widerspricht nicht nur der UN-Behindertenkonvention, sondern ist auch völlig unökonomisch. Eine Rampe im Eingangsbereich kostet ungefähr so viel wie ein Monat im Pflegeheim."

Zu den Schlüsselaspekten zählen für Behindertenanwalt Dr. Hofer dabei insbesondere auch:

1.) Wirkungsvoller Diskriminierungsschutz durch Anpassung der gesetzlichen Rahmenbedingungen.

2.) Anpassungen im Wohnungseigentumsgesetz; Maßnahmen zur Verbesserung der barrierefreien Zugänglichkeit kommen langfristig allen Menschen zu gute.

3.) Die Schaffung bundesweit einheitlicher und verbindlicher Regelwerke betreffend barrierefreies Bauen.

 

Ausführliche Informationen finden Sie in der Pressunterlage.